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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
71. Jahresband.1991
Seite: 328
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Spottprozessionen durch dörfliche Ledigengruppen ist als Rügebrauch bekannt
. Sinn und Zweck der als modernisierte oder politisierte „Katzenmusik
" bezeichneten Protestaktionen sind bereits eingehend erforscht.37

Ein erheblicher Teil sozialer Unruhen geht auf das Konto kollektiver Rügebräuche
. Von der zeitgenössischen bürgerlichen Wahrnehmung sind sie
pauschal als Pöbelexzesse" und „Volkstumulte" denunziert worden. Der
Ablauf solcher „Katzenmusiken" hielt sich nach einer, allen Teilnehmern
bekannten Dramaturgie, die bewußt auf visuelle, akustische und kulturelle
Irritationseffekte angelegt war und sich doch an gewisse Grundregeln orientierte
.38 Katzenmusiken fanden grundsätzlich nur bei Dunkelheit statt,
denn die Anonymität der Beteiligten sollte gewahrt werden.39

Der Übergang zwischen jugendlichen Streichen zu sozialen Protestformen
war allerdings fließend.

Die Weingartener Pfarrverkünd- und Stiftungsprotokollbücher führen uns
zu einer weiteren Form sozialen Protests. Zwischen Gläubigen und Pfarrer
herrschten in den dreißiger Jahren Unstimmigkeiten. 1836 zeigte der Weingartener
Kirchenrüger Bernhard See drei ledige Kirchgänger an, weil sie
mehrfach den Sonntagsgottesdienst gestört hatten. See beklagte sich gleichzeitig
, daß er die Ordnung unter den , Unverehelichten des männlichen Geschlechtes
" während des Gottesdienstes nicht mehr unter Kontrolle habe.40

Unruhe herrschte wohl auch unter den Meßdienern. Von bedeutenden Gottesdienststörungen
ist die Rede. Denn die Meßdiener fanden sich nur „unfleißig
und nur nach Willkür" zu ihrem Dienst ein. Dem Beispiel anderer
Orte folgend, beschloß der Weingartener Stiftungsvorstand, jedem der sechs
Meßdiener eine Belohnung von jährlich einem Gulden zu erstatten.41 Die
Aufmüpfigkeit von Kirchenbesuchern und Meßdienern läßt sich nur schwer
mit den Auswirkungen revolutionärer Strömungen erklären. In einer Zeit
erhöhter Protestneigung reagierte die Bevölkerung aber empfindsamer auf
Veränderungen und Ereignisse.

Der Zorn der jüngeren Generation konnte sich aber auch gegen die 1831
verschärfte Heiratsgesetzgebung richten. Lag es nicht nahe, während des
Gottesdienstes, quasi innerhalb eines öffentlichen Raumes seinen Unmut
kundzutun? Wahrscheinlich überlagerten sich gleich mehrere Konfliktfelder
.

Bei der Beurteilung solcher Vorfälle begeben wir uns leicht in die Gefahr,
diese über- oder unterzubewerten. Die Grenzen zwischen sozialem Protest
und spontaner-übermütiger Ruhestörung verlaufen fließend. Erst die Verdichtung
kollektiver Handlungen mit ähnlichem Erscheinungsbild und
-ablauf innerhalb eines begrenzten Zeitraums, wie im Falle der Gottesdienststörungen
, sprechen für den Protestcharakter einer Handlung.

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