Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
71. Jahresband.1991
Seite: 518
(PDF, 143 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1991/0518
ropa" gestaltete und deren Bedeutung für die pazifistische Bewegung während
des 1. Weltkriegs oft dargestellt worden ist (ich verweise auf die nuancierte
Darstellung in Maurice Godes Studie Rene Schickeies Pazifismus in
den Weißen Blättern^). So gab er ebenfalls den Sammelband Menschliche
Gedichte im Krieg und die Schriftenreihe Europäische Bibliothek heraus.
Wir können den Europagedanken, der sich damals herausbildete, als eine
pazifistisch-sozialistische Europa-Idee bezeichnen. Darin glaubte er die
große Hoffnung der Zeit zu erfassen. Zugleich festigte sich bei ihm
die Verbindung des Pazifistischen und Sozialistischen in einer gewaltlosen
Revolutions-Utopie. Diese Vorstellungen trugen deutlich genug
expressionistisch-utopische Züge, Schickele war sich dessen bewußt, aber
1918 heißt es in den Weißen Blättern: ,,Einmal müssen wir ernst machen mit
der Utopie. Heute, sage ich. Sofort."17

November 1918: Schickele glaubte, die Stunde sei gekommen. Überschwenglich
begrüßte er den Ausbruch jener „deutschen Revolution", nannte
den 9. November den schönsten Tag seines Lebens.18 Es war der Glaube
an eine von Deutschland ausgehende revolutionäre „Neuordnung der Dinge
in Europa". Für den realistischen Utopisten folgte die kritische Ernüchterung
schon „am andern Tag". Das Kernproblem war das der Gewalt.
Schickele lehnte auf jeden Fall die „bolschewistische Methode", die „Diktatur
des Proletariats" ab. Es dürfe nicht, erklärt er eingehend, um die Ersetzung
einer Gewalt durch eine andere gehen, sondern darum, „daß der
Komplex der Gewalt aus der Welt verschwinde".19 In der bolschewistischen
Ideologie erkannte er das Abtriften des Sozialismus in einen neuen „Militarismus
und Imperialismus"20, und die folgende Entwicklung (der Stalinismus
) hat ja dies bestätigt (man lese jene hellsichtigen Seiten der
Essaysammlung Wir wollen nicht sterben, manche Linksintellektuelle
brauchten über ein halbes Jahrhundert, um zu solchen Erkenntnissen zu gelangen
). Und so folgt das damalige Bekenntnis: „Ich bin Sozialist, aber
wenn man mich überzeugte, daß der Sozialismus nur mit der bolschewistischen
Methode zu verwirklichen sei, so würde ich auf seine Verwirklichung
verzichten".21 Er mußte verzichten, erleben, wie das Ideal in Gewalt ausartete
, in die revolutionäre wie in die reaktionäre. Was er zu retten versuchte
(oder man kann es auch anders erfassen und ausdrücken: was ihn rettete),
war das Bewußtsein seiner deutsch-französischen Vermittlungsmission, sein
pazifistisches Europäertum. Gleich nach Kriegsende22 ruft er „die Notwendigkeit
einer Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich" in
Erinnerung: „Gemeinsamer Untergang oder gemeinsamer Neuaufbau, Abdankung
vor der Barbarei, in die Not und Verzweiflung uns stürzen können,
oder gemeinsame Übernahme der Führung in Europa aus dem Chaos in
Ordnung". Und nochmals folgt, seiner Zeit weit vorausgreifend, sein Bekenntnis
zu einem humanen Sozialismus: „Es gibt aber keine Ordnung als
die einer freiwachsenden Gemeinschaft, eines Sozialismus mit hellem,
friedlichem Menschengesicht."

518


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1991/0518