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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
71. Jahresband.1991
Seite: 521
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Für Schickele war das zugleich elsässische und europäische Grundproblem
die deutsch-französische Entzweiung. So erscheint im Erbe am Rhein das
Elsaß geradezu als „der lebende Vorwurf des ewigen Kriegs in Europa",
und so lautet die drastisch-beschwörende Anrede an „unsere Nachbarn und
wechselnden Herren":

Wie wär's, ihr Narren, wenn ihr euch zum Bessern kehrtet und unser unaufhörlich
von euch beranntes Land und die beiden Kammern unseres Herzens
zum Unterpfand eurer Freundschaft machtet, wenn ihr erklärtet: das Land
zwischen Schwarzwald und Vogesen ist der gemeinsame Garten, worin deutscher
und französischer Geist ungehindert verkehren, sich einer am andern
prüfen und die gemeinsamen Werke errichten, die neuen Denkmäler Europas
— dies ist der Tempel unseres ewigen Friedens?35

Und es folgt wieder das Bekenntnis: ,,Ich jedenfalls will so leben, als wäre
dies Land schon der gemeinsame Arbeits- und Spielplatz des verfeindeten
Geistes". Erinnern wir an die Situation nach 1918: Die Rückkehr des Elsaß
zu Frankreich bewirkte neue Spannungen im Land, nämlich zwischen der
französischen ,,politique d'assimilation" und den ,,autonomistischen" Bewegungen
. Schickele blieb in Badenweiler der zugleich betroffene und distanzierte
Beobachter. Er hatte die französische Nationalität erhalten und
angenommen, ließ sich aber nicht im französischen Elsaß nieder: aus
praktisch-beruflichen Erwägungen (als deutschsprachiger Schriftsteller)
und psychologisch-politischen Gründen (der deutschsprachige Schriftsteller
war als deutschgesinnt verrufen, „Verräter"36, „notorischer Franzosenfeind
"37! auch der pazifistische Europäer war im patriotischen Elsaß persona
non grata, wurde doch sein Europäertum als Tarnung pangermanistischer
Bestrebungen erfaßt!). Nichtsdestoweniger blieb er innerlichst mit
dem Elsaß verbunden und erwägte Möglichkeiten einer Rückkehr (übrigens
war der Elsässer in Badenweiler manchmal anti-französischen Reaktionen
ausgesetzt, wegen angeblich „deutschfeindlicher Gesinnung" nicht immer
und überall beliebt)38. Diese problematischen Hintergründe und dazu die
„zermürbenden Alltagssorgen"39 dürfen nicht übersehen werden und erklären
seine für den Außenstehenden manchmal verwirrende Haltung. „Citoyen
francais und deutscher Dichter" nannte er sich40: in dieser Formel
verdichtet sich seine komplexe deutsch-französische Situation, die er grenzüberschreitend
zur Vermittlungsmission gestaltete und steigerte. Die europäische
Berufung des Elsaß wurzelte für ihn im Geographischen und
Historischen, tiefer noch im Psychologischen als Wiederherstellung eines
inneren Gleichgewichts des Deutschen und Französischen. So spricht er
von seinem elsässischen „Bedürfnis nach der Synthese", „nach der endlichen
Befriedigung unserer eigenen, zwiespältigen Natur". Er darf hinzufügen
: „Das ist für mich keine provinzielle Angelegenheit" .. . „Das Elsaß
ist vor allem der Prüfstein für die Aufrichtigkeit des Verhältnisses zwischen
Deutschland und Frankreich, und ich bin davon durchdrungen, daß dieses

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