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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
71. Jahresband.1991
Seite: 609
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voll.. . Ich schaffe in den Personen, an deren Erlebnissen ich die Aufgaben
entwickele, Urbilder, sozusagen Übermenschen, um die Gegensätze und
die Erlebnisse aufs allerschärfste herauszuarbeiten".37 Hierbei weiß sich
Dimer gewissermaßen als Kollege des Fachschriftstellers: ,,Der Fachgelehrte
ist der Handwerker, der die einzelnen Bausteine seines Sondergebietes
behaut. Der Volksschriftsteller aber ist der Baumeister, der aus diesen
Bausteinen erst den Tempel (!) einer Weltanschauung aufführt".38 Indirekt
nimmt Dinter mit diesem Selbstbekenntnis Bezug auf jene Kritiker, die seinen
demagogischen Machwerken jeden künstlerischen Wert absprechen —
ihnen begegnet er mit dem schönen Satze Kants: ,,Es leuchtet ein, daß die
wahre Propädeutik zur Gründung des Geschmacks die Entwicklung sittlicher
Ideen und die Kultur des moralischen Gefühls sei".39 Die Tragik liegt
nur darin, daß Dinter mit seinen Hetzbüchern offensichtlich einen Beitrag
hierzu geleistet zu haben glaubte; dabei ließe sich wohl mit keinem anderen
Maßstabe die Verkommenheit der völkischen Begriffe von Sittlichkeit und
Moral so trefflich illustrieren als mit dem Kants.

Wie schon Dimers Bücher kaum noch etwas über ihren Gegenstand aussagen
, sondern ihren Autor in seinem wahnhaften Verhältnis zur Wirklichkeit
als pathologischen Pamphletisten qualifizieren, ist auch nicht der Autor
selbst (und das, wofür das Wort „Werk" zu verwenden man sich scheut) das
eigentliche Problem, sondern sein immenses Echo. Mit Recht hat Ludwig
Marcuse in einem Artikel für „Die Welt der Literatur"40 daraufhingewiesen
, welch schwerwiegende Unterlassung es gewesen sei, jenen Bücherstrom
nur verachtungsvoll beiseitegeschoben zu haben, „der von Artur
Dimers ,Sünde wider das Blut' und Houston Stuart Chamberlains ,Rasse
und Nation' hinführte zu Hitlers ,Mein Kampf, Hans Grimms ,Volk ohne
Raum' und dann einmündete in die braune literarische Flut der Dreißiger".
Mit welch schier unglaublicher Geschwindigkeit sein unsägliches Ideengemisch
sich einmal ausgebreitet hat, berichtet Dinter schon 1921: Vor einem
Jahr sei von seinem Zeitroman ,Die Sünde wider den Geist' noch keine Zeile
geschrieben gewesen, heute, ein halbes Jahr nach Erscheinen des Buches,
gehe schon das hundertste Tausend in die Welt, und es werde bereits in sieben
Sprachen übersetzt, ohne daß sein Verleger oder er selbst sich darum
bemüht hätten. Daß Dinter diese massenhafte Eroberung von Lesern sich
als eigenes Verdienst zuzuschreiben bereit war, ist verständlich, hatte er
doch mit seiner Mischung aus ideologischer Aggressivität und simplifizierendem
Eiferertum jene massenwirksame „Zauberformel" gefunden, mit
der sich den zeitbedingten Verunsicherungen besonders wirksam begegnen
ließ. Dinter, so Erich von Kahler über diese weitverbreitete Mentalität,
„sprach ja nur aus, was sie hören wollten, entwarf die Wahngebilde, die sie
selbst so gern entworfen hätten. Kein Zweifel kann heute daran bestehen:
das Bild vom Juden, das einen integralen Bestandteil des Weltbildes deutscher
Massen ausmachte, war in den zwanziger und dreißiger Jahren iden-

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