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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
71. Jahresband.1991
Seite: 655
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1991/0655
Als sie nach dem Verhör den Wagen der Gestapo bestieg, der sie nach Offenburg
transportierte, begann für Frau R. ein Spießrutenlaufen. Vor dem
Rathaus hatte sich inzwischen eine große Menschenmenge angesammelt.
Staatsanwalt Dr. Semar notierte am folgenden Tag: ,,Bei der Abfahrt der
Angeschuldigten mit dem Polizeiauto habe allgemeines Gelächter und Pfeifen
eingesetzt, ob geschimpft wurde, könne nicht gesagt werden. Aus der
Haltung der Bevölkerung habe man eindeutig entnehmen können, daß sie
über das Verhalten der Angeschuldigten sehr empört gewesen sei." In Offenburg
wurde Frau R. der Staatsanwaltschaft vorgeführt und in das Bezirksgefängnis
eingeliefert. Um die Schutzhaft aufheben zu können, beantragte
die Anklage Haftbefehl, den die Strafkammer des Landgerichts wegen
fehlenden Fluchtverdachts aber verweigerte. Abends gegen halb sechs
wurde Frau R. aus der Haft entlassen.

Der Pole, der dreiundzwanzigjährige Ignaz N. aus Ciecinlow, war bereits
im l. Mai verhaftet worden. Man fand einen Zettel von seiner Hand in deutscher
Sprache bei ihm, der als Liebesbrief an Frau R. betrachtet wurde.
Daraufhin wurde er noch am selben Tag in das Stalag V A nach Ludwigsburg
überstellt. Dort verhandelte am nächsten Tag das Feldkriegsgericht gegen
ihn, sprach ihn allerdings frei, da er in den Augen der Wehrmacht nicht
gegen geltendes Recht verstoßen hatte; er wurde aus der Haft entlassen.

Am Tag der Verhaftung von Gisela R. wurde N. in Ludwigsburg noch einmal
vernommen. Er habe in S. den Eindruck gehabt, gab er dabei zu Protokoll
, daß die junge Frau nicht nur zum Gärtner gekommen sei, um etwas
zu kaufen, sondern um ihn zu sehen. Allerdings habe er nicht mit ihr gesprochen
; dazu, ihm einen Zettel mit ihrer Adresse zu geben, habe er sie
nicht ermutigt, denn er habe gewußt, daß dies Kriegsgefangenen verboten
sei. Für die Karte mit der Liebeserklärung in deutscher Sprache hatte er eine
Erklärung: er habe sie nicht an Frau R. geschrieben, sondern sich „nur
ausgedacht, wie ich an mein Mädchen in Polen schreiben würde, wenn ich
deutsch schreiben müßte." Der Vernehmungsoffizier fand diese Erklärung
glaubwürdig. Am 10. Mai wurde Ignaz N. eine neue Arbeitsstelle im Kreis
Stockach zugewiesen.

Staatsanwalt Semar legte gegen die Freilassung von Frau R. Beschwerde
ein: ,,Die Annahme, es liege kein Fluchtverdacht vor, war bei der Höhe der
zu erwartenden Strafe ungerechtfertigt. Die Tatsache, daß die Angeschuldigte
als deutsche Frau so ehrlos ist, sich mit einem polnischen Kriegsgefangenen
anzufreunden, genügt schon, anzunehmen, daß sie sich auch
weiterhin, wenn sie Gefallen an einem solchen Gefangenen findet, sich wieder
mit ihm einläßt. Als weiterer Haftgrund ist die Erregung der Bevölkerung
S. s. anzusehen, die es mit Rücksicht auf die Schwere der Tat
unerträglich erscheinen läßt, die Angeschuldigte auf freiem Fuß zu belassen
." Gleichzeitig erstattet er dem Generalstaatsanwalt in Karlsruhe
Bericht.

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