Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
71. Jahresband.1991
Seite: 670
(PDF, 143 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1991/0670
der Welt der Richter fremd waren, führten zur Strafverschärfung, auch
wenn sie mit dem zu verhandelnden Fall nichts zu tun hatten.

Im Dezember 1940 verhandelte die Strafkammer gegen eine Frau aus G.,
Mutter von zwei unehelichen Kindern, die eine Beziehung mit einem Algerier
gehabt hatte. Die Frau stammte aus einer Familie mit 15 Kindern, vier
ihrer Brüder waren im KZ Dachau inhaftiert. Davon abgesehen war die Familie
wiederholt Opfer der Rassenpolitik des Nazis geworden: zahlreiche
Familienmitglieder waren „wegen angeborenen und moralischen Schwachsinns
mit Neigung zum Verbrechertum unfruchtbar [gemacht; B.B.] und
teilweise mehrfach bestraft worden". Dieser Hintergrund genügte dem Gesundheitsamt
Offenburg, um die Frau als in sittlicher und ethischer Hinsicht
„erheblich schwachsinnig" einzustufen, wenn der Amtsarzt auch einräumen
mußte, daß die Frau die Volksschule abgeschlossen hatte, ohne eine
einzige Klasse zu wiederholen, und ihre beiden Kinder allein ernährte. Die
Richter billigten der Angeklagten verminderte Straffähigkeit nach § 51 zu,
was das Urteil letztlich aber keineswegs reduzierte. 9 Monate Gefängnis saß
sie vollständig ab, ohne einen einzigen Tag erlassen zu bekommen.69

Auf den ersten Blick milder bestraft wurde dagegen Ende 1942 eine Soldatenfrau
aus A. wegen Geschlechtsverkehrs mit einem Kriegsgefangenen.
Während das normalerweise unweigerlich eine Zuchthausstrafe nach sich
zog, beließ es die Strafkammer bei einer Gefängnisstrafe von einem Jahr,
da die Angeklagte ,,an einem Schwachsinn mittleren Grades" leide, als dessen
Folge sie „kein Empfinden für Scham und Zucht" habe und „nicht im
Stande" sei, „einem äußeren Reiz die nötigen Hemmungen entgegenzusetzen
, wenn sie auch das Verwerfliche ihres Treibens kennt". Aber die
richterliche Milde war eine Täuschung. Für die Verhandlung hatte das
Staatliche Gesundheitsamt Offenburg ein Gutachten erstellt, dem zu entnehmen
ist, daß ein „Antrag auf Sterilisierung wegen Erbkrankheit" beim
zuständigen Gesundheitsamt gestellt worden sei: „Es handelt sich um einen
Schwachsinn mittleren Grades, ein Zustandsbild, das als Imbecillität zu bezeichnen
wäre." Ein halbes Jahr ging nach diesem Gutachten ins Land, ohne
daß die Unfruchtbarmachung eingeleitet worden wäre. Ob sie doch
erfolgte, darüber geben die Akten des Staatsanwalts keine Auskunft. Auf jeden
Fall stellte die Frau im Frühjahr 1949 einen Antrag auf Anerkennung
als Opfer des Faschismus.70

Die Urteilsbegründungen belegen die geringe Kenntnis der Richter vom
menschlichen Zusammenleben; die Begriffe von Moral und menschlicher
Gemeinschaft, die sie ihren Sprüchen zugrundelegten, waren aber auch keineswegs
durchgängig nationalsozialistisch, sondern der deutschen Richterschaft
schon in der Weimarer Republik eigentümlich gewesen, wie Kurt
Tucholsky, selbst Jurist und einer der scharfsinnigsten Kritiker der deutschen
Justiz, 1927 feststellte: „Die moralische Wertung, die der deutsche

670


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1991/0670