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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
71. Jahresband.1991
Seite: 704
(PDF, 143 MB)
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gensatz zu anderen Rheindörfern, wo Fischerei
, Flößerei. Goldwäscherei, Flußschiffahrt
und Korbflechterei eine große
Rolle spielten, dominierte in Leutesheim
bis in die jüngste Gegenwart die Landwirtschaft
.

Anläßlich der 250-Jahrfeier der Kirche erschien
1990 eine Leutesheimer Ortschronik
, die auch für Nichtleutesheimer äußerst
lesenswert ist. Sie versammelt Einzelbeiträge
verschiedener Autoren: So entsteht
eine kaleidoskopische Buntheit in Inhalt
und Darstellung. Wissenschaftlicher Sachstil
, mehr feuilletonistische Betrachtungsweise
bis hin zur subjektiven Erlebniserzählung
wechseln einander ab.

An den einleitenden Beiträgen fällt die geglückte
Einbindung des Lokalen in die großen
geschichtlichen Kontexte auf. Michael
Ertz entdeckt in der Geschichte des Hanauerlandes
ein Stück rheinübergreifender Gemeinsamkeit
, das erst mit den Wirrungen
des Nationalismus ein Ende fand. Im historischen
Überblick von Hans Schäfer wird
vor allem der Anteil Leutesheims an der
Territorialgeschichte herausgearbeitet. Walter
Fuchs, vorzüglicher Kenner der Frühgeschichte
der nördlichen Ortenau, stellt in
sehr lesbarer und kompetenter Form erdgeschichtliche
und archäologische Zusammenhänge
dar.

In einer Ortschronik, die von der Kirchengemeinde
herausgegeben worden ist, besitzt
die Kirchengemeinde selbstverständlich
einen beachtlichen Stellenwert. Wesentliches
vermitteln die Beiträge von Hans
Schäfer über Christianisierung und Reformation
, die Kirchweihe von 1740, die Leutesheimer
Pfarrer und die Kirchenbücher.
Aufs engste verbunden mit Leutesheim ist
das Leben von Mutter Jolberg. die 1800 in
Frankfurt als Regine Zimmern geboren
wurde und jüdischer Herkunft war. Nach
ihrem Übertritt zum Protestantismus entwickelte
sie bald Initiativen im Feld sozial-
caritativer Tätigkeit.

Sie kam 1840 nach Leutesheim, gründete
hier eine Kleinkinderschule und eine Ausbildungsstätte
für Kindergärtnerinnen. Wegen
ihrer pietistischen Haltung mußte sie
1848 Leutesheim verlassen, fand aber zunächst
in Langenwinkel und später in Nonnenweier
eine neue Heimstätte.

Die Beiträge über die Kirchengemeinde
werden abgerundet durch Ausführungen
von Hans-Jürgen Treppe über die Chorturmkirchen
im Hanauerland, über die
evangelische Kirche in Leutesheim, ihre
Glocken und ihre Wandmalereien.

In den Bereich der Säkulargeschichte gehört
ein Beitrag von Helmut Schneider
über das Leutesheimer Wappen und ein
Querschnitt von Hans Schäfer über das Leben
vor 300 Jahren, wobei vor allem Feudalstrukturen
und ländliche Wirtschaftsgeschichte
im Mittelpunkt stehen. Der Beitrag
von Hans Schäfer über den Fachwerkbau
in Leutesheim möchte auch zu einem
Stück Bewußtseinsbildung beitragen, man
möchte dem Verfasser zustimmen, wenn er
appelliert: „Der dörflichen Heimat ihr unverwechselbares
Gesicht zu bewahren, dies
ist unsere Aufgabe."

„Leutesheim in den letzten 100 Jahren" -
so ist das abschließende Kapitel überschrieben
, das von einem Autorenkollektiv verfaßt
wurde. Auf den ersten Blick wirkt
vieles wie ein nostalgischer Bilderbogen:
Von alten Handwerksberufen ist die Rede,
vom „Bimmelbähnel", von Originalen,
aber auch vom Westwallbunkerbau, von
Krieg, Evakuierung und Hochwasser. Daß
Zeitgeschichte eingebunden wird in den
Kontext des Anekdotischen, birgt freilich
die Gefahr der Verharmlosung in sich.
Auch die NS-Zeit wird kaum aufgearbeitet,
die dörfliche Variante des NS-Herrschafts-
systems wird nicht sichtbar.

Die Kategorien des Politischen vor 1933
und nach 1945 werden ebenso weitgehend
ausgeklammert. Die Aufarbeitung der Zeitgeschichte
vollzieht sich nicht auf annähernd
reflektiertem Niveau wie die Darstellung
der früheren Geschichtsepochen.
Schließlich werden Industrialisierung und
sozialer Wandel kaum reflektiert, sie sind
nur indirekt präsent als nostalgische Reminiszenz
an das, was es nicht mehr gibt.

Bei allen Bedenken soll hier nicht die Leistung
, die diese Chronik beinhaltet geschmälert
werden: eine exemplarische, auf
gründlichen Quellenstudien beruhende
Darstellung und eine Vielfalt von Aspekten
, die das Lesen zu einer Entdeckungsreise
macht.

Heinz G. Huber

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