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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
72. Jahresband.1992
Seite: 497
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Wo nun findet sich, im Jahre 1792, ein Kapuziner namens Raymund? Es
liegt nahe, ihn in Baden-Baden zu suchen, wo sich damals ein großes Kapuzinerkloster
befand2 - und tatsächlich führt die letzte Liste, die sich von
ihm erhalten hat, einen Pater Raymund auf, und zwar an erster Stelle3. Als
Ersten, als Vorsteher und Vorgesetzten bezeichnet ihn ja auch das Bild mit
dem Beiwort „Praesul". Dies erklärt zugleich den beigefügten Spruch „Su-
peri aiant, Fiat". („Was die Oberen sagen, soll geschehen"4.) Er versteht
sich demnach nicht etwa als Ermahnung an die Adresse eines unbotmäßigen
Untergebenen, sondern, ganz im Sinn der franziskanischen Ordensregel5
, als Verpflichtung und Versprechung gegenüber einem Vorgesetzten.
Ihm verehrte man wohl auch ein solches Bild - ob zum Geburts- oder Namenstag
, zum Jahreswechsel oder zur Jahresfeier der Profeß? Oder eher als
Gehorsamsgelöbnis des ganzen Hauses an seinen neuen Oberen, bei dessen
Amtsantritt?

Als frommer Wunsch erweist sich freilich, im nachhinein, der andere
Spruch „Vivat ac virescat". („Er möge leben und gedeihen"6.) Er mag vielleicht
für den Geehrten selber wahr geworden sein, nicht aber für das Kloster
, dem er vorstand: 1807 wurde es, im Zuge der Säkularisation, aufgehoben7
. Die Mönche gingen auseinander, Pater Raymund als Custos provin-
cialis nach Bruchsal. Als solcher schrieb und unterschrieb er im selben Jahre
noch zwei längere Briefe, die sich erhalten haben und in denen es um den
Zustand des aufgelösten Klosters und den Verbleib seiner Einrichtung
geht8. Die Bücher kamen jedenfalls nach Rastatt, und mit ihnen sicherlich
das Bild; in welchem Buch, ist unbekannt.

Daß dieses Bild nicht irgendeins, sondern eine Silhouette ist, macht es vollends
zu einem Zeugnis seiner Zeit. Denn in ihr, also im ausgehenden 18.
Jahrhundert, war das Silhouettieren, das Verfertigen von Scherenschnitten
und Schattenrissen, zur Mode und oft geradezu zur Sucht geworden; man
sammelte sie, so wie Goethe es tat, der auch selber welche machte9. Sie waren
weniger aufwendig und vor allem weniger kostspielig als das bisher übliche
Porträt, und sie entsprachen dem melancholischen Zug, der jene Zeit
bestimmte10. Da steht unter einer Silhouette etwa der Satz: „II ne reste que
l'ombre". („Nichts bleibt als ein Schatten"1'.) Auf wenige träfe er mehr zu
als auf den Kapuzinerpater Raymund, von dem tatsächlich wenig mehr als
dieser Schattenriß geblieben ist.

„Tant de bruit pour une Silhouette?" („So viel Lärm um einen Schattenriß
?"12' Ja, weil sich in diesem Bild ein Stück regionaler Kulturgeschichte
konkretisiert hat; so wie das Große immer nur im Kleinen, in Kleinigkeiten
oder sogar sogenannten Nichtigkeiten anschaulich und faßbar wird.

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