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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
74. Jahresband.1994
Seite: 445
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seph mußte als Gegenleistung auf Mays Hof arbeiten. In einem anderen
Fall übte Fabian Reinhard die Pflege von Ursula Burgmaiers Tochter
Agnes aus. Er mußte sie „reinlich kleiden", ihr ein „reinliches Bett zur
Schlafstelle überlassen" und alle Pflege geben, welche Eltern ihren Kindern
schuldig seien. Fabian Reinhard war auch für Agnes Erziehung zuständig
. Er sollte sie mit den „ersten Begriffen der Religion, Sittlichkeit
und Gehorsamkeit" bekannt machen. Im schulfähigen Alter mußte das
Mädchen die vorgeschriebenen Kirchen- und Schulbesuche einhalten, zu
Fleiß und Sittsamkeit erzogen werden64. Die Versorgungspflicht gegenüber
unehelichen Kindern schrieb der Gesetzgeber vor.

Viele Kinder lebten auf der Straße und „gingen auf den Bettel". Erwischte
der Ortsgendarm ein bettelndes Kind auf der Straße, traf die Strafe Kind und
Eltern65. Der sog. Kinderbettel war in den städtischen Randgebieten stark
verbreitet. Dort bildeten sich Kinderbanden66, die unter dem Vorwand,
Zündhölzer und dergleichen zu verkaufen, in den Ortschaften herumzogen.
Andere wiederum gaben vor, durch ein Brandunglück oder eine Viehseuche
in Armut geraten zu sein67. Begehrtes Ziel war die Bahnhofstraße. Dort hielten
sich viele Reisende auf68. So berichtete eine Offenburger Behörde 1857:
„Gestern waren die Stadtausgänge namentlich von Fessenbach, Ortenberg,
Zell und Bahnhofstraße mit einer Menge von Bettlern belagert69."

Das Phänomen „Kinderbettel" können wir zu dieser Zeit in sämtlichen badischen
Gegenden finden. Unterschichtsfamilien mußten sich auf die Einnahmen
ihrer bettelnden Kinder verlassen. Im benachbarten Rastatt ging
die Stadt dazu über, in der Frühe die Kinder der Armen einzusammeln, ihnen
ein Frühstück zu geben und sie dann zur Schule zu führen. Nach dem
Mittagessen gab man ihnen nachmittags wieder Unterricht und schickte sie
nach dem Abendessen wieder heim70.

Im Jahr 1854 verpflichtete das Ministerium des Innern sämtliche Ober-
und Bezirksämter, zukünftig über die örtliche soziale Situation Bericht zu
erstatten und Ortsarme „zur gründlichen Lokalinspektion" in ihren Wohnungen
aufzusuchen. Dem Kinderbettel sollten die Voraussetzungen entzogen
werden. Sahen sich Eltern oder Pfleger außerstande, ihre Kinder richtig
zu ernähren, mußten Kirchen und Gemeinden intervenieren und die
Kinder bei „rechtschaffenen und vermögenden" Ortsbewohnern unterbringen
. „In solchen Fällen ist den Kostgebern besonders anzuempfehlen, soviel
wie möglich für die Zucht der Kinder mit zu sorgen, und dieselben unter
allen Umständen vom Bettel abzuhalten. Von selbst versteht es sich
übrigens, daß solche Kinder anzuhalten sind, ihren Kräften angemessene
Arbeiten zu Gunsten ihrer Wohlthäter im Hause und auf dem Felde zu verrichten71
."

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