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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
74. Jahresband.1994
Seite: 450
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mußte. Gegenüber dem Schicksal der Armen auf dem Land machte sich
ein wachsendes Desinteresse breit. Der Rammersweirer Joseph Belli
schreibt in seiner Autobiographie von einer Loslösung der armen Bevölkerungsteile
aus der dörflichen Solidargemeinschaft. Gleichzeitig zogen nach
1860 viele Arme und Bettler in die neuen Fabriken. Die Kinder armer
Rammersweierer erfuhren den Zerfall traditioneller Bindungen als erste
am eigenen Leib: „Die Bettelleute wurden weniger, denn sie schickten ihre
der Schule entlassenen Kinder in die Fabrik. Alle vierzehn Tage brachten
diese den recht bescheidenen ,Zahltag' heim. Aber Bargeld war es, und es
fehlte bei den Bauern häufig. ,Dort drüben esse si Wißbrot und suffe
Kaffee', sagten meine Pflegeeltern öfters schmähend und deuteten auf ein
Nachbarhaus. Aber nicht lange, so schickten auch die Wohlhabenden ihre
überschüssigen Familienmitglieder auch in die Fabrik. Von den Kindern
der Bettelleute schafften einige später in die Bauernschaft den Weg zurück.
Umgekehrt wanderten jedoch mehr Bauern - mitunter durch eigenes Verschulden
- den Spinn- und Webstühlen zu. Einige schlugen auch andere
Wege ein. Langsam lockerte sich das Leben der Bauern von der Scholle."

Ein kurzer Ausblick

Mit den beschränkten Mitteln der Armenfonds, mit Almosen, Kollekten
und Wohltätigkeitsveranstaltungen konnte die Armut nicht bewältigt werden
. Der Pauperismusautor J. K. Rieger bemerkte in diesem Zusammenhang
polemisch: „Die Zersplitterung der Kräfte und Theilung der Aufsicht
in vielerlei Kommissiönchen mit fünferlei kleinen Kassen findet sich in einem
kleinen Landorte; aber eine wohlberechnende durchgreifende Kommission
fehlt. Der Kirchengemeinderath, der Gemeinderath, die Armenkommission
, die Stiftungskommission, die Spitalkommission, etc., jede
thut, was sie meint thun zu können, das Beste den Schwestern, mit denen
sie nicht immer in Harmonie steht, überlassenend77."

Bis Mitte der 1860er Jahren wechselten sich Nachrichten über die Zu- und
Abnahme der Bettlerzahlen ab. Die Armenfrage blieb weiter ungeklärt.
Seit 1868 stiegen in der Umgebung von Offenburg die Bettlerzahlen wieder
an. Der Unmut der Bürger wandte sich gegen eine neue Form von
NichtSeßhaftigkeit: die Hausiererei. Viele Arbeitslose verdienten ihren
Unterhalt als Hausierer78. „Man vernimmt, dann und Wann Klagen über
das Hausieren, weil viele übelbeleumundete, arbeitsscheue Leute dieses
Geschäft ergreifen, als Gelegenheit zum Betteln und Stehlen. Die Kaufleute
beschweren sich, daß der Handel mit sogenannten Kurzwaaren seit
der Freigabe des Hausierens fast ganz in die Hände der Hausierer gekommen
sei79."

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