Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
76. Jahresband.1996
Seite: 673
(PDF, 127 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1996/0673
Heinrich Hansjakob, Abendläuten.
480 S., gebunden mit Illustrationen von
Kurt Liebich. Nachwort und Anmerkungen
von Manfred Hildenbrand.
Waldkircher Verlag, Waldkirch, o. J.
Mit dem Faksimile-Nachdruck der 5. Auflage
des „Abendläutens" von 1903 schloß
der Waldkircher Verlag 1995 seine auf
6 Bände angelegte Edition der Tagebücher
Heinrich Hansjakobs ab. Der Titel -
Hansjakob wählte ihn, weil er glaubte, er,
der Sechzigjährige, schreibe das letzte seiner
Erinnerungsbücher - schlägt einen
melancholischen Ton an und verspricht
gemütvollen Lesegenuß. Aber die Gedanken
, die der Freiburger Pfarrer im Frühsommer
und Frühherbst 1897 in Hofstetten
, Ripoldsau und Schapbach fast täglich
niederschrieb, verraten auch den pädago-
gisch-appellativen Charakter, den die
Hansjakob-Literatur der letzten Jahre als
Grundzug des Gesamtwerkes herausgearbeitet
hat. Der Autor - bereits ein renommierter
Schriftsteller - formulierte seine
Aufzeichnungen von vornherein bewußt
für seinen Leserkreis, er machte sie jedoch
nicht für dieses Publikum zurecht.
Isoliert nebeneinander betrachtet und
ernstgenommen, zeigen die Einträge
Brüche und werfen Fragen auf. Zweifellos
besitzen die schnörkellosen Natur- und
Menschendarstellungen des begabten
volkstümlichen Erzählers ihren Eigenwert
als werbendes Identifikationsangebot
ebenso wie als Dokumentation der damaligen
bäuerlichen Welt, aber immer wieder
bricht die Idylle ab, und typische
Merkmale der Einzelerscheinungen regen
den Autor an, über sein großes moralisches
Anliegen zu reflektieren, die durch
die Technik erzwungene Veränderung des
Daseins. Während gegen Ende des Jahrhunderts
im deutschen Reich die Industrielle
Revolution ihrem Höhepunkt zustrebte
, ja die große Literatur und frühe ökologische
Bewegungen die ersten Warnungen
plakatierten, waren die Schwarzwäldtäler
gerade dabei, ihre vorindustrielle Unschuld
zu verlieren. Vehement und gnadenlos
kämpft Hansjakob gegen jedes Anzeichen
der „Kultur", wie er alles Moderne
, nicht nur das technische, nennt, um
die „Poesie", Inbegriff des Hergebrachten
und damit auch des moralisch Guten, zu
schützen. Klarsichtig erkennt er die
schwerwiegenden Folgen, z.B. für Flüsse
und Wälder, wenn das Kapital im Nutzen
das alleinige Ziel des Wirtschaftens sieht.
Hier kann der Leser dem Autor bewundernd
zustimmen, doch wird er auch gezwungen
, sich mit seinem Konservativismus
auseinanderzusetzen, und das Buch
bietet Gelegenheit zur echten Diskussion
genug. Verliebt in das Überkommene,
verkennt Hansjakob z.B. die sozialen
Chancen des Zeitgeistes, wenn er die bäuerliche
gesellschaftliche Hierarchie als naturgegeben
verteidigt, die höhere Schulbildung
der Mädchen mit Satire kommentiert
, den Tourismus lächerlich macht und
in der Lokomotive die Ursache des allgemeinen
Niederganges beklagt. Nur der
Anblick eines Automobiles verführt ihn
zum mystischen Schwärmen. Diesem Pessimismus
entspricht allerdings auch seine
Lebensgrundstimmung. Fast noch stärker
als in „Kranken Tagen" lernen wir Hansjakobs
„wunde Seele" kennen, die seine
Existenz belastete und sein Urteil dunkel
färbte. Immer wieder vergleicht er seinen
eigenen Werdegang mit den Lebensläufen
der vielen Personen, die er trifft, und findet
, daß er jeweils das schlechtere Los gezogen
habe. Er beneidet einen alten
Volksschulkameraden, der jetzt wohlsitu-
ierter Rentier geworden ist, ebenso wie
den „alten Dohlenbacher" mit 106 Enkelkindern
um seine Lebensfreudigkeit, den
Pfarrer von Oberwolfach um seine idyllische
Landgemeinde, nicht weniger als den
arbeitslosen Buchdrucker, der sich vom
Bettel ernährt, um seine vollkommene Zufriedenheit
. In diesen Teilen lernt man
Augenblicke eines gequälten Menschen
kennen, der den täglichen Kampf mit seiner
Psyche - auch mit Hilfe des Schreibens
- meistert, der aber auch als später
Nachfahre der Romantiker, als Zerrisse-

673


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1996/0673