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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
77. Jahresband.1997
Seite: 551
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eingesetzte Bürgermeister Heß voller Sorge dem Kommandanten: „Die
Russenfrage spitzt sich immer mehr zu. Es ist ohne weiteres wahrzunehmen
und wird mir auch täglich gemeldet, daß die Organisationen zur Plünderung
systematisch aufziehen. Sie sammeln sich z.B. an bestimmten Stellen
der Stadt und dringen in die Häuser ein, plündern Kleider, Lebensmittel
etc. Das muß zu einer Katastrophe führen."58 Für einzelne Offenburger Familien
, die Häuser in der Nähe der Kaserne, vor allem in der Weingartenstraße
bewohnten, hatte der Anschlag schwerwiegende Konsequenzen: sie
mußten ihre Wohnungen räumen, um den obdachlos gewordenen Russen
und Polen Platz zu machen. Zurückkehren konnten sie erst Monate später,
nachdem die meisten Russen und Polen abgereist waren. Ihre Wohnungen
fanden sie geplündert und verwüstet vor59.

Auch die Bauern der Umgebung wagten sich bald nicht mehr auf ihre Felder
, da sie befürchteten, daß in der Zwischenzeit ihr Haus ausgeräumt werde
. Es hatte sich herumgesprochen, daß die neuen Bewohner der Weingartenstraße
den Hausrat auf dem Land gegen Lebensmittel eintauschten. Die
Stadtverwaltung erwartete von der französischen Kommandantur Maßnahmen
gegen diesen Tauschhandel60, aber es gelang dem Militär nicht, die
Ordnung wiederherzustellen61. Die Aktionen richteten sich bald nicht nur
gegen das Eigentum, sondern auch gegen Gesundheit und Leben der Einheimischen
. Mehrere Offenburger wurden bei Überfällen ehemaliger
Zwangsarbeiter verletzt oder getötet62. Das Verständnis für die Ursachen
dieses Verhaltens ging dem Bürgermeister allerdings völlig ab. Er warf den
ehemaligen Zwangsarbeitern Undankbarkeit vor, da die Stadtverwaltung
sie ja ausreichend mit Lebensmitteln versorge und sie deshalb zu Lebensmitteldiebstählen
keinen Anlaß hätten63. Daß es den Betroffenen auf
Grund ihrer bisherigen Erfahrungen in Deutschland aber ziemlich gleichgültig
war, ob ihre Opfer an dem Anschlag direkt beteiligt waren oder
nicht, lag für ihn außerhalb des Denkbaren.

Auch den Pfarrer von Weingarten erregten die Vorgänge dermaßen, daß er
noch fast zwei Jahre später in einem Bericht über die Tötung einer jungen
Frau aus Fessenbach kein Verständnis für die Situation der ehemaligen
Zwangsarbeiter aufzubringen vermochte. Er schrieb im Februar 1947 über
den Fall, bei dem die Frau, wie er selbst bemerkt, zum unglücklichen Opfer
einer blind abgefeuerten Kugel geworden war: „Furchtbar zugerichtet
lag dieses brave, katholische Mädchen am Boden in seinem Blute, ein Opfer
feiger Mordlust u[nd] Rachgier. Anzeigen, die der Pfarrer von Weingarten
in dieser Angelegenheit machte, blieben leider wieder ohne Erfolg
u[nd] verliefen im Sande, bis zur Stunde, konnte noch nicht geklärt werden
, ob Polen oder Russen oder sonstige Feinde [!] die Mörder waren."64
Die Äußerungen von Pfarrer wie Bürgermeister verraten, daß beide das

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