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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
78. Jahresband.1998
Seite: 735
(PDF, 141 MB)
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Baden-Württemberg widmen sich denn
auch zum Beispiel dem 20. Juli 1944 in
Baden und Württemberg oder dem Widerstand
gegen die Judenverfolgung. 1995
wurde dann als Band 1 der „Karlsruher
Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus
" zeitgeschichtliche Erinnerungen
und Studien mit dem Titel Widerstand
in Europa publiziert. 1997 schließlich erschien
in dieser Reihe der zweite Band:
Die Führer der Provinz.
In diesem Band stehen erstmals die Täter
im Mittelpunkt des Forschungsinteresses.
Der Herrschafts- und Verfolgungsapparat
vor Ort wird in 26 Beiträgen über insgesamt
33 NS-Führer, Inhaber wichtiger
Machtpositionen in Partei und Staat (Gauleiter
. Gestapochefs, Minister, hohe Richter
und Beamte), konkret erfaßt. Die Autoren
und Autorinnen versuchen, den biographischen
Ansatz mit einer mentalitäts-
und alltagsgeschichtlichen Dimension zu
verbinden. Den Parteikarrieristen und
staatlichen Funktionsträgern ist die Erfahrung
des Ersten Weltkrieges und das Eintreten
für einen genuin deutschen, antiparlamentarischen
und im Innern sowie nach
außen machtbewußten Staat gemeinsam.
Michael Kißener, Geschäftsführer der
Forschungsstelle, und Joachim Scholty-
seck, Assistent von Uli, betonen in ihrer
Einführung die Bedeutung des Buches als
Nachschlagewerk zu wichtigen Repräsentanten
der „NS-Elite" in Baden und Württemberg
. Darüber hinaus gilt: „Immer [...]
wird der Versuch unternommen, den Datenbestand
auch im Detail zu sichern und
den Lebenslauf unter Berücksichtigung
des zeitgeschichtlichen Kontextes und des
jeweiligen Erfahrungshorizontes der Person
zu betrachten. Dies schließt [...] die
gerade im Falle von NS-Biographien notwendige
Einordnung der Person in das
Gefüge des totalitären Verbrechensstaates
und die Bestimmung der individuellen
Verantwortlichkeit nicht aus, es impliziert
sie vielmehr."

Die badische NS-Führungsriege etwa war
zwischen 30 und 40 Jahre alt, in Baden

geboren, aus bürgerlichem Elternhaus, trat
Mitte der 20er Jahre der NSDAP bei, wobei
die Motive weder in Arbeitslosigkeit
noch sozialer Deklassierung zu suchen
sind, sondern vielmehr waren bodenlose
Enttäuschung über den Kriegsausgang
1918 und der fanatische Haß auf den Friedensvertrag
von Versailles entscheidende
Beweggründe. Bei keiner der behandelten
Personen kann, so die Autoren, nach 1945
eine „Einsicht in ihre Mitverantwortung in
der zwölfjährigen Diktatur" festgestellt
werden. Hingegen hatten sie alle die
Reichsdirektiven fleißig und akkurat umgesetzt
. Das betrifft insbesondere das Euthanasieprogramm
und die Diskriminierung
und Vernichtung jüdischen Lebens.
Lothar Beiz hebt in seinem Forschungsüberblick
hervor, daß die Erkenntnis regionaler
Besonderheiten zur Überprüfung
allgemeiner Erklärungsansätze beitrage.
Insofern sei dies ein wesentlicher und zukunftsträchtiger
Zweig der NS-Forschung.
Dabei grenzt er ausdrücklich diese Art
theoriegeleiteter Lokalstudien von einer
Vielzahl regionaler Arbeiten ab, die „sich
ohne erkenntnisleitende Fragestellung in
einem Wust von Details" verlieren oder
„mangels einer kritischen Haltung gegenüber
Zeitzeugenberichten fragwürdige
Ergebnisse" liefern.

Die Führer der Provinz bieten auf 850
Seiten exzellente Aufsätze. Der Abschluß
eines jeden Beitrages bildet ein Kurzkommentar
zur oft dürftigen Quellenlage. Wer
wissen möchte, wie und mit welchen Verantwortlichen
das NS-System in Baden
und Württemberg reibungslos funktionierte
, wer sich zudem für die verschiedenen,
sich oft genug widersprechenden Motive
der aktiven Mitarbeit in der NSDAP interessiert
, dem steht nun eine erstklassige
wissenschaftliche Publikation zur Verfügung
.

Wolfgang Reinbold

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