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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
80. Jahresband.2000
Seite: 142
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Gabriel Andres

„Nach Westen legt sich vor das Langhaus der kühnste und stolzeste, an
Schicksalen reichste Teil des Baues, mit dem sich der Name des zu legendärer
Größe erhobenen Meister Erwin verbindet, die Fassade. Ihr verdankte
das Münster zu allen Zeiten das Besondere seines Ruhmes. Nach ihrer
Beendigung wird die Straßburger von den west- und süddeutschen Steinmetzgesellschaften
als das Haupt und ihr Meister als der „Ordnungen des
Mauerwerkes oberster Richter" anerkannt. 1481 und 1482 bittet der Herzog
von Mailand den Rat von Straßburg, ihm einen Baumeister für die
Kuppel seines Domes zu schicken, also beinahe zwei Jahrhunderte nach
der Wirkungszeit Erwins am Straßburger Münster. Selbst die Verfechter
klassischer Ideale während des Humanismus und der Renaissance, beugen
sich der Pracht dieses Baues. Wimpheling nennt ihn das achte Weltwunder
und Aeneas Silvius Piccolomini, der nachmalige Papst Pius IL, bewundert
den Turm, der, wie er sagt, „das Haupt in den Wolken verbirgt."

Dem jungen Goethe, endlich, der in der spielerischen Zierlichkeit des
französischen Rokoko und in der Weichheit der Anakreontiker aufgewachsen
ist, wird dieser Bau zur ersten Offenbarung titanischer Schöpferkraft.
In seinem Schatten entstand die Dichtung des Sturm und Drangs. Seinem
Meister Erwin galt Goethes Hymnus:

„Was braucht's Dir Denkmal? Du hast Dir das Herrlichste errichtet; und
kümmert die Ameisen, die drum krabbeln, Dein Name nichts, hast gleiches
Schicksal mit dem Baumeister der Berge auftürmte in die Wolken. Wenigen
ward es gegeben einen Babelgedanken in der Seele zu zeugen, ganz
groß und bis in den kleinsten Teil notwendig schön wie Bäume Gottes; wenigem
, auf tausend bietende Hände zu treffen, Felsengrund zu graben, steile
Höhen drauf zu zaubern und dann ihren Söhnen sterbend zu sagen: ich
bleibe bei euch, in den Wolken meines Geistes, vollendet das begonnene in
den Wolken."

Ludwig Tieck läßt seinen Sternbald vor dem Münster ausrufen:
„Es ist der Geist des Menschen selbst, seine Mannigfaltigkeit zur sichtbaren
Einheit verbunden, sein kühnes Riesenstreben nach dem Himmel,
seine kolossale Dauer und Unbegreiflichkeit: den Geist Erwins selbst seh'
ich in einer furchtbar sinnlichen Anschauung vor mir stehen. Es ist zum
Entsetzen, daß der Mensch aus den Felsen und Abgründen sich einzeln die
Steine hervorholt, und nicht rastet und ruht bis er diesen ungeheuren
Springbrunnen von lauter Felsmassen hingestellt hat, der sich ewig und
ewig ergießt, und wie mit der Stimme des Donners Anbetung vor Erwin,
vor uns selbst in unsere sterblichen Gebeine hinein predigt."

Tieck empfindet in romantischer Weise das Ganze als gewaltiges Symbol
des Unendlichen. Goethe dringt über diesen ersten hinreißenden Eindruck
hinaus zum Verstehen der Architektur als einer Darstellung des Unendlichen
und Irrationellen mit endlichen und rationalen Mitteln. Dies erscheint
ihm als das Höchste, „daß ich dieses Wunderwerk als ein Ungeheu-


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