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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
80. Jahresband.2000
Seite: 144
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Gabriel Andres

Höhe treibt, ist unvorstellbar. Es ist nicht etwa Zauberkunst, sondern Titanenwerk
. Den Fundamenten der Hauptpfeiler entströmt die Gewalt von
Naturblöcken, sie sehen so aus, als hätten sie sich immer hier befunden.
Immer wieder wird man, bei ihrer Betrachtung, an eine Gebirgslandschaft
gemahnt, Gebirgs- oder Höllenlandschaft! Die Apsis scheint geradezu in
die Erde eingerammt zu sein." (Camille Mayran)

Über einen nächtlichen Besuch schreibt Mme Mayran:
„Dann traten wir zu dieser Ecke der Krämergasse wo plötzlich, unsymmetrisch
, schweigsam, das fabelhafte Wesen uns überragte. Sich dem Emporjagen
dieses Schatten zu überlassen, bedeutet wahrhaftig der Wirklichkeit
entfliehen. Einsamer Riese, ohne Bezug oder ohne irgendein Verhältnis
zu irgendetwas aus dem diese Stadt besteht, ragte er aus dem Nebel, die
Turmspitze links, als sei er begierig den Himmel selbst einzusaugen. Die
Lichter des Platzes drängten von ihm weg, um sich den Geschäften entlang
einzureihen, damit sie ihn allein liessen mit dem Mond und den Wolken.
So schwarz und unmittelbar entsprang er schon an der Basis, die Erde
gleichsam zurückstoßend, mit dem Hinaufdrängen all seiner senkrechten
Kräfte."

In diesen Zeilen erscheint uns, im vollen Licht des wahren Erfassens,
der geniale, der authentische, ich möchte sagen der prophetische Erwin,
der wirkliche, nicht nur der mythische, sondern der echte Baumeister, wie
er gewesen sein muß, der Baumeister, der ja auch den Turm entwarf, vielleicht
die Türme, selbst wenn dieser sein Plan nicht zur Ausführung gelangen
konnte. Darin aber tritt uns doch auch jener mythische Erwin entgegen
, dieser Erwin, dem wir nachjagen, der aus seinem Münster, sobald er
nur mit der Hand über den Stein strich, das Symbol zweier großer, verwandter
, aber doch verschiedenartiger Kulturen hervorzauberte.

„In einer Kapelle, zu der man links vom nördlichen Kreuzgewölbe aus
gelangt, befindet sich das Grab Konrads von Lichtenberg, Bischof von
Straßburg zur Zeit als Erwin die Westfassade errichten ließ. Erwin selbst,
wird versichert, erbaute das Grabmal. An dessen Basis und fast am Boden,
unterbricht eine kleine Statue die Kante des Steinblocks. Ein gelehrter
Kenner der Kathedrale zeigte sie mir eines Tages im Schein eines brennenden
Streichholzes. Mich hinneigend, gewahrte ich eine männliche Figurine
, den Kopf emporhebend, den Arm zusammengelegt, die Wange nachdenklich
auf der Hand ruhend. Ungewöhnliche Gegenwart, beinahe verstohlen
, so verborgen, so klein, so unerwartet. In der Vielzahl der Figuren,
die diese Kathedrale bevölkern, ist es die einzige, die sich nicht zu erkennen
gibt. Kein Symbol erklärt ihre Anwesenheit, erhellt ihre Bedeutung.
Ohne Machtzeichen ausgerüstet, ohne heilige Weihe, ohne Waffe oder
Nimbus, ohne Flügel, stellt sie wohl den Menschen dar, wo er nur Mensch
ist: zwei Füsse zum Gehen, zwei Hände zum Werken und im Kopf diesen
ungeheuren Traum.


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