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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
80. Jahresband.2000
Seite: 145
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Erwin von Steinbach: vom Steinhauer zum Mythos

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Dieser Mensch, im beinahe unterirdischen Dunkel, zu Füssen seines
verstorbenen Bischofs, gebiert die Kathedrale immer wieder aufs Neue.

Sehen sie, sagte mir der Gelehrte, man findet keine andere Erklärung;
wir glauben, daß Erwin sich hat hier darstellen wollen." (Camille Mayran)

Nun verfolgt Camille Mayran den Mythos, drängt ihn bis zu den letzten
Folgerungen:

„Dem Bischof nun das Grabmal, gleich einem Prunkbett in der Krypta
aufgeschlagen; dem glücklichen Baumeister und damit sein Körper für immer
in seiner Seele verborgen bleibe, geziemte es sich durch den Fels der
Kathedrale selbst aufgenommen zu werden."

So wechseln wir unmerklich vom Mythos, der den Meister umdichtet,
zu seiner mystischen Berufung, durch die er, unaufhaltsam hingezogen,
sein geheimnisvolles Schicksal erfüllte.

..Diese Apsis war damals schon über hundert Jahre alt und das Münster
hat nie aufgehört zu wachsen. Die Menschen waren, um es zu bauen, so
geduldig wie der Baum, der, um sich der Erde zu entwinden, Zelle um Zelle
, in hundert Frühlingen, seine Gestalt formt, dunkles Ziel dessen Erkenntnis
in Gott ruht.

Um 1180 waren die runden Pfeiler des Chors errichtet worden. Erwin
starb 1318, sein Werk, die Westfassade, die große Symphonie der Senkrechten
, in ihrer Mitte die erhabene Rose mit ihren bitteren Farben, hatte
ihr Hinaufstreben noch nicht abgeschlossen. Der Turm bestand vorerst nur
auf den Plänen, die wir auf der anderen Seite des Vorhofs im Museum Unserer
Lieben Frau sehen können, noch ohne mehr Kraft als sein Zwillingsbruder
im Süden der nie geboren werden sollte. Diese Kathedrale, eine
schwindelerregende, unwiderstehliche Erscheinung, ein Wasserstrahl, ein
Schrei, hatte schon mehrere Menschenalter verschleißt, das Emporjagen
bestand noch nicht, der letzte Schrei war noch nicht ausgestoßen!

O Gott, so betet der alte Baumeister, O Gott, möge sich dieser Schrei
endlich lösen, möge er Dich erreichen, so betet der alte Baumeister, möge
er vor Dir für die Menschen zeugen und für Dich vor den Menschen.

Doch das Alter lastet, die Kraft schwindet, das Werk muß übergeben werden
. Wie du in die Gedankenwelt deiner Altvorderen eingetreten bist, spricht
der Tod, wird ein jüngerer Mensch in deine Gedankenwelt eintreten.

Es war kein leeres Versprechen, es genügte die Augen zu schließen und
zu akzeptieren, damit die so innig erträumte Vision an andere übergehe.
Was ich nicht gesehen habe, wird mich aufnehmen, so sinniert der Sitzende
. Und schon war das Fleisch seines Fleisches im Stein verankert.

Wir lesen auf der Inschrift, daß 1316, zwei Jahre vor Erwin, seine Gemahlin
Husa hier begraben worden war. So offenbarte sich der alte Mann
und schenkte er zuerst den Frieden und die Freude der irdischen Tage jener
die sie mit ihm geteilt hatte, einer lieben, alten Frau mit einem grauen
Zopf, einst die schönste Lilie des ganzen Frühlings. Bohrend ist der


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