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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
80. Jahresband.2000
Seite: 242
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Gerd Hirschberg

waren aber lauter Männer in Zivil, keine in Uniform. Und nur Männer
vom Dorf, keine Auswärtigen. Das ging dann auf den Lindenplatz. ■ ■ ■

. . . In der Kristallnacht haben die vier oder fünf mal um den Platz rennen
müssen, und die SA-Männer in Zivil, aber mit Peitschen - das weiß ich
von meinem Vater. Und der Hirschberger war im Talar, und dann mit
Fußtritten auf die Lkw rauf nach Kehl.

. . . Ein Nachbar von der Gettl hat bei den Cahnemanns mit der Axt die
Haustür eingeschlagen. Da ist die Axt dringeblieben und den Stiel hat er in
der Hand gehabt. Die war halt nicht gut verkeilt. Da hat der gesagt: „Jetzt
hol ich ein Brecheisen und schlag dir die Haustür ein, du Jud, du
drecketer!" Und die junge Frau hat dann die Axt schnell wieder rausgeschmissen
. Dann hat er sie in Ruh gelassen. Der hat ja nur die Axt wieder
haben wollen. Das hat die Frau D. mir erst letztes Jahr wieder erzählt, wie
der da draußen getobt hat. . .9

Paul Weil, ein ehemaliger jüdischer Rheinbischofsheimer Bürger, * 1908,
der bis 1994 in New York lebte, berichtet in einem Brief an die Staatsanwaltschaft
Offenburg im Jahr 1946 das folgende zu diesen Vorgängen10:

. . . Am frühen Morgen des 10. Novembers klopfte es an meine Schlaf-
zimmertür: Aufmachen, Gestapo!' Herein kam SS-Mann E. aus Wien und
Ortsgruppenführer X aus Rheinbischofsheim. Man räumte mir die ganze
Wohnung aus, suchte angeblich nach verbotenen Schriften und Waffen.
Nach erfolglosem Suchen sagte das SS-Biest: ,Komm mit, du Judenschwein
, du bist verhaftet!' Als ich im Hausflur fragte nach dem Grund,
war die Antwort etliche Schläge ins Gesicht.

Man brachte mich in den Ortsarrest, wo ich den größten Teil meiner
Glaubensgenossen schon versammelt sah. Ich hatte nicht einmal Zeit mich
anzuziehen. Nur in Hemd und Hose gekleidet schleppte man mich über die
Straße.

In diesem Ortsarrest warteten wir ungefähr eine Stunde, bis die Bestien
sämtliche Juden zusammen hatten. Natürlich waren wir bewacht von etlichen
SS-Männern, meistens aus Wien, und auch von dem damaligen Polizist
Y, der einer der übelsten Nazis im Ort war. Es waren noch etliche Nazibonzen
da, deren Namen mir aber leider entfallen sind. . .

Später mußten wir dann unter Bewachung zum Warten auf den Autobus
auf dem Lindenplatz marschieren teilweise in Talles [jüdischer Gebetsschal
] gehüllt, und der damalige Religionslehrer Hirschberger mußte vorangehen
mit dem jüdischen Gebetsbuch in der Hand und ebenfalls in Kaf-
tan gehüllt, und zwar unter dem Jubel der Kinder, die extra zu diesem
Zweck schulfrei hatten. Man zwang uns gemeinsam zu schreien: ,Wir sind
erbärmliche Juden! Wir haben das Vaterland verraten! Wir sind schuld an
dem Pariser Mord!'

Man brachte uns bis Bodersweier, wo man die dortigen Juden buchstäblich
zu uns hereinschlug . . .


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