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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
84. Jahresband.2004
Seite: 49
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Sinti & Roma - Ihre Vergangenheit und Gegenwart

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Traumatisierung eines ganzen Volkes über Generationen

Diese Erfahrungen der Vergangenheit, aber auch die gegenwärtigen Diskriminierungen
, Ausgrenzungen und Ungleichbehandlungen im Alltag, die
kollektive Stigmatisierung der gesamten Volksgruppe, erhalten ihr erdrückendes
Gewicht vor allem beim konkreten Individuum. Betrachten wir
den extrem traumatisierten Menschen, der unter solchen lebensfeindlichen
Bedingungen weiter um sein Überleben kämpfen musste. Wenngleich im
familiären Schutzraum oder im einfühlsamen, vorbereitenden Zeitzeugengespräch
ein Sprechen über die traumatischen Ereignisse möglich war,
bleibt die schwierige Frage offen, inwiefern dadurch die übermächtigen
Ereignisse durchgearbeitet worden sind. Ebenso schwierig bleibt die Frage
zu beantworten, wie stark die gesellschaftliche Nichtanerkennung des Völkermords
und damit die Leugnungen der Leidenserfahrungen der Überlebenden
sowie die teilweise entwürdigenden Auseinandersetzungen der
Überlebenden mit den Behörden traumatisieren. Diese Erfahrungen haben
nicht nur die Überlebenden zum Verstummen gebracht, sondern auch gerade
die traumatischen Ereignisse in den Familien fixiert und eingefroren.

Wenn ich über das Leiden und den Völkermord an den Sinti und Roma
berichte, dann berichte ich über einen tiefen Schmerz und eine tiefe Brandwunde
. Der Holocaust ist ein Begriff für alle Sinti und Roma, bei dem ihnen
der kalte Schweiß über die Stirn läuft, ganz gleich, ob derjenige selbst
zu den Opfern gehörte oder nicht. Der Holocaust ist eine Traumatisierung,
die bis in die dritte Generation reicht.

Funktion der „Zigeunerbilder"

„Zigeunerbilder" bilden eine projektive Folie der Wahrnehmung, Deutung
oder Rechtfertigung im Alltagshandeln vieler Menschen. Die Wirklichkeit
der diskriminierten Menschen wird als unveränderbar gesetzt: Das vorgestellte
Bild wird zum Seinzustand einer Welt, die so ist und so sein muss,
wie sie gesehen wird. Ob dies aber wirklich so ist, ist etwas anderes. Das
Vorurteil ist fest zementiert und braucht nicht mehr überprüft zu werden.
Darüber hinaus korrespondieren diese verzerrten Wahrnehmungsfolien mit
antisozialen Verhaltensweisen. Etikettierung und Stigmatisierung sprechen
eine deutliche Sprache: Sie diskriminieren, sie entwirklichen, entmenschlichen
, verletzen, demütigen, entwerten die anderen und rechtfertigen die
eigene Position. Antiziganistische Einstellungen haben im Vergleich zum
Antisemitismus in den letzten Jahren zugenommen. Offensichtlich erfüllen
sie auch die Funktion, mit dem Bild „Zigeuner" die Lebenswirklichkeit der
Sinti und Roma unsichtbar zu machen und die wirklichen Menschen zugleich
abzuwerten. In einer Emnid-Umfrage lehnten 68% der deutschen
Bevölkerung Sinti und Roma als Nachbarn ab.


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