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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
84. Jahresband.2004
Seite: 131
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„Die Zeit ist der beste Richter". Von Sibirien in die Ot tenau

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Ein anderer wird vielleicht Genesung finden
in fremden Sprachen - nein, ich nicht, verzeiht -
Und sollst du, Muttersprache, morgen schwinden,
bin ich zu sterben heute schon bereit.

Rassul Gamsatow wollte seine Muttersprache und seinen Geburtsort nicht
voneinander trennen, er hat sie als Gesamtheit betrachtet. Vielleicht gehörte
er zu den Glücklichen in der Sowjetunion, denen die Heimat und Muttersprache
durch Verbannung und Verbot nicht geraubt wurden.

Im 18. Jahrhundert, als Katharina die Große unsere Vorfahren mit ihrem
Manifest nach Russland lockte, versprach sie ihnen nicht nur viel Land und
steuerliche Privilegien, sondern auch das Recht auf freie Religionsausübung
und die deutschen Schulen, was automatisch zum Erhalt der Muttersprache
führt. Heute wissen wir, was aus diesen Versprechungen geworden
ist. Schon nach Gründung des deutschen Reiches 1871 wurde den Russlanddeutschen
die Befreiung vom Dienst in der russischen Armee entzogen
. Schon nach Ausbruch des 1. Weltkriegs wurden etliche hunderttausend
Russlanddeutsche aus dem Westen Russlands nach Sibirien und Kasachstan
deportiert, viele haben die monatelangen Strapazen nicht überlebt
, betroffen davon war auch die Familie meiner Frau, ihr Großvater ist
irgendwo im hinteren Ural begraben. Die Muttersprache wurde schon damals
in der Öffentlichkeit verboten.

Nach dem Ende des 1. Weltkriegs strebten die Leute wieder zurück in
den westlichen Teil Russlands, in ihre früheren Siedlungsgebiete. Weit
nicht alle haben es geschafft. Wer im Osten blieb, musste assimilieren unter
anderen Völkern. Es führte zum Verlust der Muttersprache, Kultur,
Identität. So begann schon damals die Entwurzelung für viele Tausende
Russlanddeutsche. Ein wenig besser haben es diejenigen gehabt, die bei
der Deportation nach Sibirien in die dort schon früher gegründeten deutschen
Siedlungen kamen. Auch bei uns in Häuf, wo ich geboren wurde,
gab es einige Familien, die aus dem Westen, aus der Ukraine, deportiert
wurden. Sie kamen nach Häuf und blieben dort für immer. Dort konnten
sie ihre Muttersprache bewahren, in Häuf wurde die russische Sprache
nicht gesprochen. Der sprachliche Unterschied zwischen den Deportierten
aus der Ukraine und denen, die dort schon seit der Gründung der Siedlung
Häuf wohnten, war, dass die Gründer aus dem Wolgagebiet vor 15 Jahren
kamen, wo man mehr hessischen Dialekt sprach, und die Neuangekommenen
aus der Ukraine sprachen Hochdeutsch - ihr Ursprung lag in Norddeutschland
. Die zweite Welle der Entwurzelung begann gleich nach dem
Einmarsch der deutschen Truppen am 22. Juni 1941 in die Sowjetunion.
Was mit den Russlanddeutschen danach geschehen ist, lässt sich in Worten
auch heute noch nicht aussprechen. Die gesamte Wolgadeutsche Autonome
Republik wurde innerhalb von wenigen Tagen liquidiert, die Bevöl-


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