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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
84. Jahresband.2004
Seite: 133
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„Die Zeit ist der beste Richter". Von Sibirien in die Orterum

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kerung wurde beschuldigt, sie hätte mit den deutschen Truppen kollaboriert
, es soll gewimmelt haben von unzähligen Spionen in den deutschen
Dörfern an der Wolga (welch ein Ungeheuer!). Man weiß doch, dass die
deutschen Truppen in vielen hundert Kilometern Entfernung waren zu
diesem Zeitpunkt und auch später nie in die deutschen Siedlungen an die
Wolga kamen. Für den Genossen Stalin war die deutsche Republik an der
Wolga schon lange ein Dorn im Auge. Diese Republik galt als vorbildlich,
als blühende Republik mitten in Russland. Ihr gesamtes Hab und Gut
mussten die Menschen hinterlassen. Verladen in Viehwaggons ging es in
Richtung Osten. Das Ziel haben sie nicht gewählt, das wurde ihnen aufgedrungen
. Nach vielen Tagen, vielleicht auch Monaten kamen sie an das
ungewollte Ziel. Und wieder gab es solche Zwangsumsiedler, die in deutschen
Siedlungen in Westsibirien untergebracht wurden. Auch zu uns, in
meinen Geburtsort Häuf in Westsibirien, kamen diese Wolgadeutschen,
die meisten von ihnen stammten aus den Hussenbach, der Bergseite der
Wolga. Diese Menschen haben noch Glück gehabt, dass sie zu den Deutschen
in Sibirien kamen, und wurden wenigstens wegen ihrer Nationalität
nicht beschimpft, zurück an die Wolga durften sie aber nie wieder. Später
erzählte mal eine alte Frau, die zu diesen Deportierten gehörte, dass sie
nach ihrer Ankunft in Omsk (Westsibirien) verteilt wurden in die Kolchosen
, dabei merkte ihr Mann sich die besten Pferdefuhren, die zur weiteren
Fahrt dastanden, und sagte: „Auf diese müssen wir uns draufschaffen, das
müssen Deutsche sein." Diese Frau war auch aus Hussenbach, ich habe
sie ziemlich gut in meinem Buch „Der lange Weg aus Sibirien" beschrieben
. Sie war eine überzeugte Lutheranerin, predigte das Gotteswort auch
in verbotenen Zeiten, führte Kindertaufen und Beerdigungen aus, weil es
keine Pfarrer gab, weil diese von der Sowjetmacht schon lange vor dem
2. Weltkrieg einfach ausgerottet wurden. Ein Kreuz auf dem neuen Friedhof
in Häuf in Sibirien erinnert noch an sie. Ihr Mann und ihr Sohn wurden
nach Ende des 2. Weltkrieges aus der Trudarmee (Arbeitslager) halb lebendig
entlassen und sind auch bald gestorben, ihr Hussenbach an der
Wolga sahen sie nie wieder. Es waren aber die wenigsten, die 1941 in den
deutschen Siedlungen Sibiriens und der Altai-Region untergebracht wurden
. Den meisten ging es noch viel schlimmer, sie wurden bis zum Baikalsee
, in das hohe Nordostsibirien, verbannt, wo sehr viele gleich den
ersten Winter nicht überlebt haben. In einem Film von Klaus Bednarz
sahen wir die letzten Wolgadeutschen am Baikalsee, die seit 1941 dort
verbannt leben. Früher durften sie nicht weg von dort, jetzt wollen die
alten Frauen ihre dort begrabenen Männer nicht zurücklassen. Als Zeichen
, dass sie von ihrem Deutschtum noch was erhalten haben, holten sie
ihre alte deutsche Bibel aus dem Versteck heraus und sangen deutsche
Lieder. Die Jugend kommt mit der deutschen Sprache schon kaum zurecht
. Er hat's geschafft, der Josef Stalin, mit seiner Ausrottungspolitik,


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