Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
84. Jahresband.2004
Seite: 557
(PDF, 115 MB)
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Rezensionen

557

Standsfähigkeit in zahlreichen Ehen und
Verhältnissen, ihre ans Kauderwelsch
grenzende Zungenfertigkeit entgegen.

Eine andere Frage ist, ob die zeitgenössischen
Leser vor dreihundertfünfzig
Jahren sie ebenso gelesen, empfunden haben
, ob der Autor Grimmelshausen sie so
verstanden wissen wollte - Fragen, welche
die Wissenschaft von der Literatur angehen
, die Fachleute. Sie mögen, unbeschadet
der Gewogenheit eines modernen
Publikums, zu einem anderen Urteil über
den Roman Grimmelshausens kommen.
Und sie haben bis vor relativ kurzer Zeit
ein anderes Urteil gefällt. Noch Jan Hendrik
Schölte, der Altmeister der Grimmelshausenforschung
, hat in seiner Ausgabe
des Romans 1923 die Courage nach
Simplicissimus und Springinsfeld auf der
höchsten Stufe moralischer Skrupellosig-
keit gesehen. Und in der Tat finden sich
im Nachwort des Romans („Zugab des
Autors") die warnenden Worte: „Darum
dann nun Ihr züchtige Jüngling / ihr ehrliche
Wittwer und auch ihr verehelichte
Männer / die ihr euch noch bißhero vor
diesen gefährlichen Chimeris vorgesehen
... lasset euch auch fürterhin diese Lupas
nicht bethören / dann einmal mehr als gewiß
ist / daß bey Huren-Lieb nichts anders
zu gewarten / als allerhand Unreinigkeit /
Schand / Spott / Armuth und Elend und
was das meiste ist / auch ein böß Gewissen
..."

Doch wer spricht und bewertet hier im
Schlussteil und in den Einleitungstexten
des Romans? Bekanntlich treibt Grimmelshausen
ein vielseitiges Spiel mit fiktiven
Verfassernamen und der Verfasser des
Courage-Romans ist Philarchus Grossus
von Trommenheim auf Griffssberg. So
steht es jedenfalls auf dem Titelblatt. Offenbar
kommt dieser zu dem verheerenden
Urteil über die Heldin in der „Zugab
des Autors". Grimmelshausen selbst hat
sich hinter einem Vorhang zurückgezogen
. Das verweist den Leser darauf, in der
Erzählung selbst, unabhängig von allen
beigefügten Erklärungen, nach Indizien

zu suchen, wie Courage sich selbst und
wie andere Figuren sie beurteilen. Moderne
Leser haben dies getan. So hat eine
Umwertung ihrer Einschätzung stattgefunden
, schon lange vor der Untersuchung
durch den italienischen Germanisten und
seine Gattin. Sie nun trennen streng zwischen
der fiktionalen Ebene, der Autobiographie
der Courage selbst, und der metaliterarischen
Ebene, den Vor- und Nachworten
eines vorgetäuschten Autors.

Doch was berechtigt sie nun, Courage
zu „der starken Frau der deutschen Literatur
" (wie es im Untertitel heißt), quasi zur
Gallionsfigur der Frauenbewegung zu erheben
? Es ist ja nicht nur ihre physische
Stärke gemeint, die sich auf dem Titelkupfer
zeigt, in einer Szene, in der sie ihren
Ehemann verprügelt. Aus gründlicher
Kenntnis der sozialhistorischen Situation,
in der Grimmelshausen schrieb, der damaligen
- negativ getönten - Auffassung
vom Charakter und der Rolle der Frau,
aber auch mit dem Blick auf die Entwicklung
des pikaresken Romans als Gattung,
kommen die Autoren im Verlauf zum Teil
subtiler Untersuchungen zu dem Ergebnis,
dass sich die verwerflichen Schwächen
der Courage, ihre Geldgier, ihre Hurerei
und der Vorwurf der Hexerei, weitgehend
aus den Lebensbedingungen im Dreißigjährigen
Krieg und aus ihrer sozialen Herkunft
erklären. Und dass ihr Wille zur
Selbstbehauptung auf dem Schlachtfeld
und im Ehekrieg vor allem ihrer Empörung
über das Verhalten der Männerwelt
zu schulden ist. Dabei werden in einem
Kapitel „Anthropologie des Bösen" auch
die in Frage kommenden ethischen Maßstäbe
besprochen. Es stellt sich heraus,
dass Courage durchaus auch zu selbstloser
Liebe, zu Mitleid und Barmherzigkeit
fähig ist.

Doch die Reichweite der Darstellung
ist größer. Im zweiten Teil des Buches
wird der Wirkungsgeschichte des Romans
nachgegangen, dann die Veränderungen
der Figur und ihrer Rolle in Brechts
„Mutter Courage und ihre Kinder" (1941)


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