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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
85. Jahresband.2005
Seite: 61
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Eine Kindheil und Jugend im Hanauerland

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„Schlachtenbummler" in Kork — das Münster brennt

Viele Fremde kamen nach Kork auf den Kirchweg, um sich das „Feuerwerk
" in Straßburg anzuschauen. Das Bezirksamt Kork musste eingreifen,
um den Zustrom der neugierigen, auswärtigen Schlachtenbummler zu
bremsen, die das brennende Dach des Straßburger Münsters sehen wollten.
Am 27. September 1870 hörte plötzlich das Artilleriefeuer auf und vom
Münster wehte die weiße Fahne: Straßburg hatte kapituliert. Danach wurde
es wieder ruhig in Kork. Als im November die Eisenbahnbrücke über den
Rhein repariert und die Bahnstrecke zwischen Kehl und Kork wieder befahrbar
war, rollten viele Gefangenentransporte an Kork vorbei.

Immer mehr Schlachtenbummler stellten sich in Kork ein. Nachts gingen
die Leute auf den Kirchweg, um sich das „Feuerwerk" anzusehen. Das Bezirksamt
Kork mußte eingreifen, um den Strom der neugierigen, auswärtigen
Schlachtenbummler zu bremsen, die das brennende Straßburger Münster
sehen wollten. Während wir das heftige Schießen mit innerster Qual
hörten, konnten gedankenlose Reisende, die zufällig einen ruhigen Tag getroffen
hatten, ärgerlich sagen: „Das habe ich mir doch anders vorgestellt.
Man hört ja fast nichts. Ist's denn immer so?" Daß ernste Menschen den
Wunsch hatten, etwas vom Krieg aus der Nähe zu sehen, war zu begreifen
und gut zu heißen. Unendlich viele Bekannte kamen zu uns, Leute mit Empfehlungen
, auch solche, die aus Verlegenheit das Pfarrhaus aufsuchten.
Wir konnten niemand mehr über Nacht aufnehmen. Die Wirtshäuser waren
gestopft voll von Verwundeten und Flüchtlingen. Eines Abends erschien ein
angenehmer älterer Herr mit einem müden etwa elfjährigen Knaben. Er
stellte sich vor als Goldwarenfabrikant von Pforzheim. „Frau Pfarrer, ich
bitte Sie um Obdach um dieses Kindes willen ". Die Mutter sagte ihm, das
Haus sei leider voll, und sie habe kein Bett mehr. Als er aber noch einmal
bat, wurde sie weich. Sie wußte ja, daß weithin keine Unterkunft zu finden
war und kein Zug mehr ging. Federbetten hatten wir noch, aus solchen und
irgendwelchen Tischdecken richtete meine Mutter ein Lager für die beiden
her. Später kam ein warmer Dank von dem Herrn und zwei hübsche Ringe
für mein Schwesterlein und mich. Wir hatten sehr viel Freude an diesen
„ Kriegsringen ". Sie haben den Namen ein zweites Mal verdient: Mit allem
anderen Goldschmuck haben wir sie im Jahr 1914 fürs Vaterland gegeben.

An einem andern Abend läutete spät der Bankier Grunelius, ein Enkel
von Kirchenrat Fecht. Selbst diesem Millionär war es nicht möglich gewesen
, eine Unterkunft zu finden. Die Mutter konnte ihm nur ein Kissen und
einen Armstuhl bieten. Er war auch dafür froh. Am frühen Morgen als er
wegging, sah ihn nur unsere Bärb. Er gab ihr zwei Gulden, und tief erschüttert
sagte sie, die sonst selten das rechte Wort fand: „Ich habe ja gar
nichts für Sie getan". „ So bürsten Sie mir noch die Stiefel ab". Für die
Bärb war die Begegnung mit dem Millionär (ganz Kork wußte von ihm) das


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