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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
85. Jahresband.2005
Seite: 71
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Eine Kindheit und Jugend im Hanauerland

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sehen der Rheinbrücke und der Porte d'Austerlitz wurde 1878 die erste
Straßenbahnstrecke gebaut. Die Einwohnerzahl Straßburgs stieg bis 1914
von 75.000 auf 175.000.

Aber viele Elsässer schmerzte es, nicht mehr zu Frankreich zu gehören.
Deshalb war es psychologisch unklug von der deutschen Regierung, so
viele preußische Beamte nach Straßburg zu schicken, die eine ganz andere
Mentalität als die alemannischen Elsässer hatten und deren Sprache sie
nicht verstanden. Viele deutsche „Damen der höheren Gesellschaft" behandelten
Straßburger Frauen, die „nur elsässisch sprachen" mit Herablassung
und fielen durch ihr arrogantes Verhalten negativ auf. Jahrelang trugen viele
der mit Frankreich sympathisierenden Straßburgerinnen Trauerkleidung.

Straßburg hallte wieder vom schweren Tritt deutscher Regimenter. Es gab
wenig Klagen wegen Ausschreitungen. Auch die Einquartierungen betrugen
sich anständig. Ein Pfarrer, den der Vater darüber befragte, erzählte
ihm folgende Anekdote: Eine reiche alte Mamsell seiner Gemeinde habe
ihm entrüstet geklagt über die gemeine Aufführung ihrer Einquartierung.
Was sie denn angestellt hätten? Ja, sie gäbe den Soldaten abends meist
Bier und Kartoffelsalat und Heringe, „un denke Se, Herr Pfarrer, die Kerle
werfe immer die Heringsseele an d'Decke!"

Es gab bald schlimmere Klagen als diese. Die evangelischen Pfarrer,
die fast alle dem Deutschtum zugeneigt waren, mußten mit Betrübnis sehen
, daß viele der einströmenden deutschen Familien nicht die Zucht und
gute Sitte pflegten, die sie von Deutschen erwarteten. „Wollen Sie den
Hausschlüssel oder das Nachtessen ? " wurde dann mitunter ein neu eintretendes
Dienstmädchen gefragt. Die guten deutschen Familien, die natürlich
in der Überzahl waren, zeichneten sich fast alle aus durch eine unglaubliche
Verständnislosigkeit gegenüber der elsässischen Seelenverfassung
. Trotz der deutschen Stammeszugehörigkeit konnte die gewaltsame
Lösung des Elsaß von Frankreich, mit dem es so lange verbunden war,
nicht ohne schmerzende Wunden für die Bewohner abgehen. Das hätten
besonders unsere deutschen Frauen berücksichtigen und nicht durch stolzes
Auftreten ihre Siegerstellung betonen müssen. Die Sympathien für
Frankreich wurden in Straßburg immer stärker statt schwächer. Jahrelang
trugen die Damen aus französisch gesinnten Familien auf der Straße Trauerkleidung
. Das fiel sehr auf, da die deutschen Damen lebhafte Farben bevorzugten
.

Immer wieder wurden die Gefühle der Elsässer durch Mißachtung verletzt
, immer wieder kamen Übergriffe vor, aber das Schlimmste war, dass
die deutsche Regierung nicht energisch dagegen einschritt und den Beleidigten
Sühne gab.

Während all der Jahre, die wir noch in Kork waren, haben wir viel gelitten
unter den deutschen Fehlern, die wir in Straßburg sahen.


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