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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
85. Jahresband.2005
Seite: 75
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Eine Kindheit und Jugend im Hanauerland

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Mehrere Württemberger Soldaten waren bei uns. Abends baten sie um
den Hausschlüssel. Der Vater sagte, er bleibe auf und öffne ihnen, wie er
es bei ihren Vorgängern auch getan habe. Es lag ihnen aber so viel an dem
Schlüssel, daß der Vater ihn gab mit der freundlichen Ermahnung, nicht zu
laut zu sein beim Heimkehren, weil das für ein Pfarrhaus nicht passe. Niemand
hörte sie heimkommen. Auf unser erstauntes Fragen erklärten sie
morgens vergnügt, sie hätten die Stiefel schon vor der Haustüre ausgezogen
. Ahnlich rücksichtsvoll betrugen sich alle.

Unter mehreren anderen Einquartierten fiel meiner Mutter ein Soldat
auf, der nicht sprach und sehr gedrückt erschien. Sie suchte ihn auf als er
allein war und befragte ihn wegen seines Kummers. „Ach", sagte er, „alle
freuen sich auf's Heimkommen, und ich habe so Angst davor. Sieben Mann
sind aus unserm Dorf fortgegangen, und ich bin der einzige, der wieder
heimkommt. Wenn ich an den Jammer denke, und was sie noch alles von
mir wissen wollen von ihren Leuten, drückt mir 's fast das Herz ab. "

Eines Tages kam Einquartierung, die vorher nicht angesagt war. Drei
Mann waren es. Ich sah sie zum Hoftor hereinkommen. Voran ging ein hagerer
, struppiger, rothaariger Kerl, fluchend, schimpfend, gestikulierend.
Schmutzig waren sie alle. Der Vater ging hinunter, begrüßte sie freundlich
und lud sie ein hereinzukommen, es werde gerade Kaffee gemacht. „Herr
Pfarrer", brach der wilde Kerl, er hieß Rothart, los, „wir können nicht in
Ihr Haus. Wir sind wie die Viecher, dreckig und wüst. Alle haben eine neue
Montur bekommen, nur wir vom Train (Transportabteilung) nicht. So wie
wir aussehen, " und er fing wieder an zu schimpfen und zu fluchen. Der Vater
sagte: „Es ist gut, daß wir einmal sehen, was die Soldaten auch in dieser
Weise haben ausstehen müssen. So haben wir's doch nicht gewußt.
Kommen Sie ruhig herein. Es ist ein Ehrenkleid, das Sie tragen." „ Wir
kommen, Herr Pfarrer, aber zuerst wollen wir uns noch zurecht machen."
Über eine Stunde wuschen und putzten die Männer am Brunnen an sich
herum, ehe sie ins Haus traten. Der Rothart führte das große Wort, so lange
sie bei uns waren. Die andern waren stille, feine, einfache Menschen.
Einer hatte einen großen, wallenden blonden Vollbart. Der Rothart machte
darauf aufmerksam: Man sage, es sei der schönste Bart in der ganzen Armee
, er war ordentlich stolz, daß sie beim Train so was Besonderes hatten.
Der Bärtige lächelte leise: „Ob wohl meine Frau mich noch kennt?" Der
andere erzählte, sein Kind sei zur Welt gekommen, während er im Felde
war. Da habe er geträumt, wie bei seiner Heimkehr sein Kind am Tisch gestanden
sei und einen Laib Brot heruntergenommen habe. Lieber Gott, habe
er gedacht, wenn ich so lang in dem Frankreich bleiben muß!

Der Rothart hatte wenig Sinn für solche Familiensachen. Mit seiner
rauhen Stimme erzählte er darauf von gefahrvollen Fahrten im Gebirg, von
„leer gefressenen" Höfen usw. Er saß bei Tisch neben mir. „Wenn wir
nachts in einen Hof gekommen sind, haben wir die Leute aus den warmen


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