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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
85. Jahresband.2005
Seite: 103
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Der Tod im Brauchtum des Renchtals

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In großen Kirchspielgemeinden oder im Tal, wo weite Entfernungen zurückzulegen
sind, hatte die „Lichte-Botti" (Ibach), „Lichtewander" (Oppe-
nau) oder „Lichte-Sageri" (Vordertalgemeinden) die Aufgabe, einen Todesfall
zu verkündigen und die notwendigen Informationen zu überbringen
. Im hinteren Renchtal bezeichnete man das Todansagen als „enden",
gleichsam als ob der Leichenansager selbst das Leben des Verstorbenen
beenden würde. In Nußbach war in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts
eine ältere Frau aus dem Armenhaus mit dem Leichenansagen beauftragt.
Sie erhielt für ihre Botendienste gewöhnlich Naturalien, Eier und Brot. Bei
reichen Bauern gab es manchmal etwas Geld.23 Auf abgelegenen Höfen
war die Botin willkommen, denn sie konnte noch vieles aus dem Dorf
berichten, was interessierte.

Die materielle Entschädigung war zu gewissen Zeiten ein Grund dafür,
dass das „Leichenansagen" überhand nahm. Das Bezirksamt Oberkirch sah
1894/95 darin eine verkappte Form des Betteins Einheimischer.24 Der Ober-
kircher Oberamtmann Pfister hatte 1853 aus ähnlichen Gründen verordnet,
dass die Gemeinden Leichenansager benennen sollten. Diese beauftragten
in der Regel Witwen oder Dorfarme, um vermutlich dadurch die Armenunterstützung
reduzieren zu können.25 Im Ersten Weltkrieg machten Hamsterer
das Leichenansagen zum Vorwand für Lebensmittelbeschaffung: Das
zum Teil ohne Auftrag der Hinterbliebenen erfolgende sog. Leichenansagen
nimmt einen immer größeren Umfang an, nicht zuletzt deshalb, weil es gute
Gelegenheit zu meist unentgeltlichem Erwerb rationierter Lebensmittel
(Eier, Butter, Milch, Speck und dergleichen) bietet. Geber und Nehmer sind
sich nicht im Klaren, dass Abgabe und Abnahme derartiger Lebensmittel
verboten und strafbar ist,26 meldete 1917 die Lokalzeitung.

Wenn nicht genügend Leute starben, wurde von Betrügern sogar ein Todesfall
erfunden, um an Lebensmittel zu kommen. So berichtet 1888 das
Lokalblatt Der Renchthäler: Seit einigen Tagen macht der schon lang bekannte
und vielbestrafte Georg Kimmig die Gegend wieder unheimlich, indem
er stets auf Schwindeleien absieht. So hat er vorgestern in Nordrach
zu einer Beerdigung geboten, und als gestern mehrere Leute zur Beerdigung
eintrafen, siehe da, der angeblich Verstorbene konnte diese in bester
Gesundheit vor seinem Haus empfangen.27 Ebenso wurde in Nesselried
einmal eine falsche Beerdigung gemeldet. Die Leichenbotin hatte auf ihrem
Gang so viele Schnäpse erhalten, dass sie alles durcheinander brachte
und zur Beerdigung einer Bäckersfrau bot, mit der sie am Morgen noch geredet
hatte.28

Nach und nach hat die Zeitung vollständig die Rolle der Leichenansage-
rin übernommen. Die Auflagen des seit 1867 erscheinenden nationalliberalen
Renchtälers und der zentrumsnahen Renchtalzeitung (seit 1907) waren
zunächst relativ klein, dass die Zeitungen die mündliche Verbreitung der
Todesnachrichten nicht ersetzen konnten. Die Todesanzeige hatte nicht nur


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