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Der Tod im Brauchtum des Renchtals
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„Hört, ihr Nachbarn und guten Freund,
Alle, die hier versammelt seid.
Hier betrachten wir das menschliche Leben,
das uns der himmlische Vater gegeben;
der uns das Leben hat lange gegeben,
Sei es früh in den Jünglingsjahren,
oder spät im Greisenalter,
wieder zurück ruft er uns in die Ewigkeit.
Darum stellen wir uns das menschliche Leben
Vor gleich einem Wandersmann,
der so lange auf dieser Erde herumwandelt
bis ihm der himmlische Vater zuruft:
Komm her, mein Sohn (meine Tochter),
ich will dich aufnehmen in die ewige Seligkeit,
die ich schon längst habe für dich bereit.
Drum, liebe Freunde, weinet nicht,
er (sie) kommt vor Gottes Angesicht.
Drum wollen wir zum Himmel flehen
und uns einst dort wiedersehen.
Wenn er (sie) eines oder das andere beleidigt hat,
so wollen wir es ihm (ihr) auch verzeihen,
er (sie) wird gewiss auch allen Menschen verziehen haben.
Wir wollen auch für ihn (sie) beten,
denn wenn er (sie) in Gottes Gnade aufgenommen wäre,
so wird er (sie) gewiss auch für uns beten,
darum wollen wir unsere brüderliche Liebe gegen ihn (sie) erzeigen,
in einem andächtigen Vater unser und Ave Maria. "63
Ein inhaltlich ähnlicher Abschirmspruch - allerdings in nicht gereimter
Form - ist aus Ödsbach überliefert.64 Die Gemeinde nahm an einem sakralen
Denkmal, einem Bildstock oder einem Flurkreuz, Abschied von dem
Verstorbenen. Der Sprecher vertrat den Toten und bat die Gemeinde für
noch bestehende Schuld um Verzeihung, umgekehrt sprach er aber auch
für die Gemeinde sein Bedauern über die gegenüber dem Toten erwiesenen
Kränkungen aus. Wenn ein Einwohner des Ortsteils Müllen beerdigt wurde
, sprach die Trauergemeinde am Bildstock des Müllers Pfaff einen Abschirmspruch
und ein Gebet.65 Das heute vor der Zusenhofener Kirche stehende
Barockkreuz befand sich bis 1935 am alten Nußbacher Kirchweg im
Gewann Sommerfeld an der Gemarkungsgrenze. Es diente zur „Abschirmung
" der Toten, die bis zur kirchlichen Verselbstständigung von Zusen-
hofen nach Nußbach gebracht wurden und dort beerdigt wurden.66
Im Jahr 1919 berichtet der Oppenauer Bürgermeister Josef Ruf davon,
dass es „in klerikalen Kreisen" beabsichtigt sei, diese Sitte abzuschaffen.67
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