http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2009/0417
Gescheitert oder erfolgreich?
All
so Reichel, hätte ihre Selbstbefreiung zur Voraussetzung gehabt. Dafür
waren die Kräfte des Widerstands zu schwach, die Anpassungsbereitschaft
und der „volksgemeinschaftliche Durchhaltewille" bis zuletzt zu
groß. Einer Selbstreinigung der Deutschen stand entgegen, dass die Herrschaft
des „Dritten Reiches" eben nicht nur auf Terror und politischer Unfreiheit
beruhte, „sondern auch und in hohem Maße auf ,volksgemein-
schaftlicher' Massenloyalität und Massenfaszination, von der im Lauf der
dreißiger Jahre auch große Teile der Arbeiterschaft erfasst wurde, was einzugestehen
SPD und Gewerkschaften nach 1945 verständlicherweise
schwer fiel."
Die vorübergehende Disqualifizierung Millionen angepasster, mehr
oder weniger mitverantwortlicher Mitläufer dürfte ihre Anpassungsbereitschaft
an die neuen politischen Verhältnisse erhöht und diese damit zugleich
stabilisiert haben.
Eindeutig war die staatlich-normative Abkehr der Beamtenschaft vom
Nationalsozialismus. „Auch konnte schwerlich ohne Wirkung bleiben, daß
die „131er" gezwungen waren, ihren „Kampf mit den Mitteln des Rechtsstaats
zu führen und ihre Interessen als ökonomisch-soziale zu
definieren."85 Die Wohltaten der 131er-Gesetzgebung verstärkte die Abwendung
der Betroffenen von der Politik und deren Bereitschaft, sich in
das demokratische System zu integrieren, was freilich mit politischen und
moralischen Defiziten erkauft wurde, die besonders im Bereich von Justiz
und Polizei ins Auge stechen. Für den kritischen Zeitgenossen, gar den
ehemals politisch Verfolgten, der 1945 die unwiderrufliche Ablösung der
korrumpierten Eliten erwartet hatte, war es deprimierend, die massenhafte
Rückkehr der früheren Beamten beobachten zu müssen.
Anmerkungen
1 Eugen Kogon: Die unvollendete Erneuerung. Deutschland im Kräftefeld 1945-1963.
Aufsätze aus zwei Jahrzehnten, Frankfurt 1964, S. 23 f.
2 Jörg Friedrich: Die kalte Amnestie. NS-Täter in der Bundesrepublik, Berlin 2007, S.
134 f.
3 Christoph Tonfeld: Die Entnazifizierung der Justiz in Bremen, in: Zeitschrift für
Geschichtswissenschaft 46 (1998), S. 638.
4 Anselm Faust: Entnazifizierung in Wuppertal. Eine Fallstudie, in: Deutsche
„Nachkriegswelten" 1945-1955, Regionale Zugänge und neue Sichtweisen, bearb. v.
S. Lennartz, Bergisch Gladbach, Bensberg 1992, S. 43.
5 Klaus-Dietmar Henke: Politische Säuberung unter französischer Besatzung. Die Entnazifizierung
in Württemberg-Hohenzollern, Stuttgart 1981, S. 8.
6 Angela Borgstedt: Entnazifizierung in Karlsruhe 1946 bis 1951. Politische Säuberung
im Spannungsfeld von Besatzungspolitik und lokalpolitischem Neuanfang, hrsg. von
der Forschungsstelle „Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Deutschen Südwesten
" der Universität Karlsruhe, Karlsruher Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus
5, Konstanz 2001, S. 25.
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