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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2010/0173
1 72 Eugen Hillenbrand

Das Haus, das die beiden Frauen gemeinsam in Straßburg erworben
hatten, vermachte Gertrud der jüngeren Freundin und
gab ihr als äußeres Zeichen den Hausschlüssel. Auch einen Hof
übertrug sie Heilke zum Nießbrauch und mit der Auflage, dass er
nach deren Tode an das Franziskanerkloster fallen solle. Ihr
Beichtvater riet ihr von diesem Schritt ab: im wz leid, dz sü es also
gar enweg wollte geben und sich also gar in gottes hand und in die
armuot wollte geben, und vorhte, so sü not und gebrest wurde angon,
dz es ir krankheit nit geliden moechte und dz es sü denn wurde geru-
wen.59 Sein Hinweis auf eine kluge Alters- und Krankheitsvorsorge
half nichts. Gertrud ließ eine Notariatsurkunde zugunsten Heil-
kes ausstellen. Als bald darauf der Maier eines Hofes den Pachtvertrag
an seinen Sohn abgeben wollte, empfing dieser das Objekt
nicht mehr von Gertrud, sondern von Heilke.

Aber die Legende steigert die Radikalität franziskanischer
Armut, indem sie beschreibt, wie Gertrud mit sich ringt, dz sü
ouch die Herberge muoste rumen und dz sü eine nacht nit sollte sin do
sü die ander wer.60 Sie wollte unbehaust sein. Das aber verhinderte
Heilke. Gertrud musste unter ihrem Dach bleiben als eine arme
fremde swester, die man durch got ladet Gertrud räumte ir hübsches
kemmerlin und schlief unter dem Dach im snoedesten kemmerlin.
Auch das Essen wollte sie nicht mehr am gemeinsamen Tisch
einnehmen, sondern separat, - wie eine Bettlerin. Gertrud wollte
frei sein, nüt enhan und nüt begeren.61

Diese Formel der bewusst geübten Bedürfnislosigkeit umfasst
prägnant zwei Hauptformen der Armut, die aktuelle Armut als
Besitzlosigkeit, und die potenzielle als Angst vor einer kommenden
Armut. Dieser zweite Aspekt war für Heilke besonders wichtig
. Sie wollte ihre alte Freundin durch eine testamentarische
Verfügung absichern: wenn ich nit enbin, dz sü doch ir notdurft hie
von habe. Erwartungsgemäß lehnte Gertrud ab, willigte aber wenigstens
in ein Gespräch mit einem alten erfahrenen Franziskanerbruder
ein, der wz ein guoter andechtiger bruoder und wz vil jor
lesemeister gewesen und wart provincial, und do lies man in ruowen
durch sines gemaches willen, und wz zuo strosburg und predigete und
horte bihte, er wz wol ahtzig jor alt oder me62. Diese Personenbeschreibung
trifft eigentlich nur auf einen Lesemeister des Ordens
zu, der zu den führenden Köpfen der strengen Richtung im franziskanischen
Armutsstreit gehörte, Heinrich von Talheim. Er wird
in der Vita als einziger unter den Beichtvätern Gertruds namentlich
erwähnt. Im Gespräch mit Gertrud und Heilke gab er zu bedenken
: Recht als unser herre unsem orden fürsehen und geordnet het
on eigenschaft (Eigentum,) und on alle Sicherheit, dz will unser herre
ouch von ir. .. Er will sü arm haben und dz sü allein siner gnaden
warte und von nieman kein Sicherheit habe.63


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