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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
93. Jahresband.2013
Seite: 156
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1 ^ ^ Günther Mohr

jüdischen Männer durch die Zuschauer reagierte er in seinem
fast zehn Jahren nach dem Ereignis verfassten Bericht so: „[...]
mir war, als sei ich in Jerusalem an jenem Tag, als man Christus
nach Golgatha brachte"47. Auf die Formulierung „Umzug" folgt
die durch den Verweis auf das Karfreitagsgeschehen religiös erhöhte
Verurteilung des Geschehens.

Wie vieles in den Schriften Flakes sind solche für uns sprachlich
merkwürdigen Zusammenhänge bisher nicht in den Blick
gekommen. Möglicherweise entspricht die Formulierung
„Umzug" einem stilistischen Prinzip, dem sich Flake verpflichtet
fühlte: „Knappheit und Sachlichkeit, die vermeidet, Gefühle
breitzutreten [...]", das war der Kern dieses Prinzips.48 Ähnlich
wie in seiner Autobiografie könnte es sich auch bei der Äußerung
des Freiherrn verhalten - sie kann als sprachlicher Ausdruck
dafür verstanden werden, dass es sich um eine Figur
handelt, die ihre Gefühle zurückhält. Das Problem bleibt dennoch
: Für uns heute fragt sich, ob dieses stilistisch-künstlerische
Prinzip in einem Bericht über ein Pogrom oder auf die Shoa
bezogen angemessen ist. Oder leiden gar selbst positiv konzipierte
Figuren Flakes wie der Freiherr oder sein autobiographisches
Ich an der Unfähigkeit, die Verbrechen der NS-Zeit in direkter
Form zu nennen?

Im Verlauf des Geschehens kommt es immer wieder zur Erwähnung
von Auswirkungen der Nazizeit auf die Romangegenwart
, also auf die Jahre bis 1955, auf die Trümmer aus der
Kriegszeit, auf Flüchtlinge, auf Gefangenschaft von Soldaten
und von Frauen, auf deren leidvolle Existenz nach ihrer Rückkehr
. Diese Auswirkungen gehören zu den Alltagserfahrungen
des ersten Jahrzehnts der Nachkriegszeit. Auffallend ist jedoch,
dass hier wie in den vielen reflektierenden Bemerkungen des
Freiherrn und Sparres das keine Rolle spielt, was wir gewöhnlich
Auseinandersetzung mit der NS-Zeit nennen. Die negativen
Folgen der Niederlage nehmen im Roman mehr Raum ein als
Fragen einer emotionalen Zuwendung zu den Verfolgten und
Opfern der NS-Herrschaft oder die Beschäftigung mit der Frage
nach Ursachen und Bedingungen dieser Herrschaft und ihrer
„Täter". Das ist umso auffälliger, als der Archivar-Professor
Sparre selbst von sich sagt: „Ich liebe es nach rückwärts zu denken
[,..]"49. Er liebt es jedenfalls nicht, an die Nazizeit zu denken
. Selbst da, wo sich mit dem Widerstand des Jahres 1944
eine positive Linie der Zeit anbot, belässt es der Erzähler bei
einer fast neutralen Erwähnung, dass der Freiherr und seine
Tochter als Angehörige eines Widerstandskämpfers dessen Ermordung
erfahren mussten und sie das Los der „Sippenhaft"
getroffen hatte.


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