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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
94. Jahresband.2014
Seite: 421
(PDF, 98 MB)
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Autobiografien aus der Ortenau ^2 *|

vor und verneigte sich so viele Male, als das rasselnde Läutwerk
Stunden schlug... An den Stufen pflegte der alte Schondelmaier,
Mathis, der Knecht, der Graubart, mit dem zur Ausfahrt gerüsteten
Schlitten zu halten. So strahlende Wintertage, so kristallene
hat es, scheint mir, nur dazumal gegeben. Nichts mangelte
für das behaglichste aller Vergnügen: nicht das beste Gespann,
das mit den beiden Rappen, nicht die Joche mit klingenden Silberschellen
, weder die pelzgefütterten Fußhauben noch die
Wärmflaschen aus blankem Kupfer; auch nicht die wollenen
Decken und breiten Felle ...30

In seiner Autobiografie hat sich Hausenstein verdoppelt, oder
auch geteilt: in einen, der schreibt, und einen anderen, der
beschrieben wird, wobei beide angeblich „im gleichen Augenblick
, um die Mitte des Juni 1882"31 im Sternzeichen der Zwillinge
geboren sind. Derart versuchte er das Dilemma jedweder
Autobiografie zu lösen, das darin besteht, dass der Beschriebene
mit dem Beschreibenden nicht mehr ganz identisch ist.
Das Buch gibt sein Geheimnis am Ende selber preis; da geht
der, um den es geht, im Karlsruher Schlossgarten unter den
Gingkobäumen her, hebt ein Blatt auf, sieht „die Narbe in die
Mitte des vorzeitig ins Gelbliche verbleichenden Laubfächers
tief einschneiden, als wolle sie diesen in zwei Hälften reißen
"32, und sagt sich selber erst die erste Zeile des Gedichts
von Goethe vor: „Daß ich Eins und doppelt bin"33; und dann
dessen mittlere Strophe: „Ist es ein lebendig Wesen, / Das sich
in sich selbst getrennt? / Sind es Zwei, die sich erlesen, / Daß
man sie als Eines kennt?"34

Schon im „Buch einer Kindheit" hatte Hausenstein geschrieben
:

Ich schreibe. Ich rede dem Kind in die Erfahrungen hinein; ich
mische die Gesichte des Großen mit den Gesichten des Kleinen.
Aber nein: ich sitze hier, um die taubstummen Erfahrungen des
Kindes im erzählenden Wort endlich zu vollziehen. In der Tat,
es läßt sich am Ende zweifeln, ob man die Erfahrungen in dem
Augenblick macht, in dem man sie zu machen meint - unterm
Zeiger der Uhr, unter der Zahl des Kalenders. Man macht Erfahrungen
zuweilen dreißig und fünfzig Jahre nach dem Augenblick
, da sie sich in die dunklen Gänge der Seele gesenkt haben,
um zu schlafen, lange zu schlafen und nach einer unwahrscheinlichen
Frist der Inkubation aufzustehen.35

Der Beschreibende ist nicht mehr der, den er beschreibt. Er
hat sich von dem entfernt, der er war, und auch von der Welt,


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