Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
3. Jahrgang.1983
Seite: 21
(PDF, 21 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-1983-3/0023
Was ist eine Stadtverfassung,
worin liegt ihre Bedeutung ?

Die Entwicklung des Städtewesens in Deutschland ist eine Erscheinung, die sich im 11.,
12. und 13. Jhd. bemerkbar macht. Durch kompliziertere Produktionsformen, bessere
Verkehrsverbindungen und aufblühenden Handel nicht nur zwischen Deutschland und
Italien, sondern gerade auch im Orient, wuchs die Bedeutung von Handwerk und Gewerbe
als menschliche Erwerbsquelle gegenüber der Landwirtschaft.
Die Stadt entwickelte sich als befestigte Marktsiedlung mit individuellem Rechtscharakter
. Stadtrecht, Marktrecht und Burgrecht waren dasselbe. Im Stadtrecht entwickelten
sich als Ausdruck der gewerblich-städtischen Funktion neue Formen des rechtlichen Zusammenlebens
, die uns in den Stadtverfassungen überliefert sind und umgekehrt das Wesen
dieser Verfassungen ausmachen. Die Stadtverfassung ist somit keine moderne Erklärung
von Bürger- und Menschenrechten. Sie bezeichnet eher den rechtlichen Gesamtzustand
der Stadt. Durch ihre Verfassung unterscheidet sich die Stadt von der bloßen Siedlungsgemeinschaft
als eigenständige Rechtsgemeinschaft.

Die Stadt war ein Fremdkörper in der mittelalterlichen Ordnung. Sie entzog sich dem
Grundsatz ständischer Gliederung. Die sich entfaltenden gewerblichen Aktivitäten waren
mit den herkömmlichen gesellschaftlichen Bindungen der Grundherrschaft nicht vereinbar
. Wer in die Stadt zog und »Binnen Jahr und Tag« von seinem Grundherrn nicht zurückgerufen
wurde, war frei. Grundlegend für den neuen freiheitlichen Status entwickelte
sich von Anfang an ein neues Bodenrecht auf der Grundlage des herrschaftsfreien Verkehrseigentums
. Jedermann erlangte die Berechtigung zum Erwerb von Grund und Boden
. Die freie Erbleihe ergab sich aus dem neuen Eigentumsgedanken nur selbstverständlich
. Der städtische Geschäftsverkehr bedurfte der Regelung, so gehört das Schuld- und
Handelsrecht zu den ältesten Bereichen des Stadtrechts.

Damit sich aus einem Streit zweier Kaufleute keine störende Fehde entwickelte, benötigte
man ein rationales Verfahrens-, Beweis- und Vollstreckungsrecht. Die gewaltsame Austragung
von Konflikten konnte schließlich nur durch ein städtisches Strafrecht vereitelt
werden. Auch damit war der Friede als wichtigste Intension der Stadtverfassung noch
nicht gesichert. Zur Durchsetzung des Rechts bedurfte es öffentlicher Gewalt, denn der
Friede ist kein Naturzustand. Die Stadt wurde zum einzigen geschlossenen Friedensbereich
der mittelalterlichen Gesellschaft. Es entstand Verwaltung, und jede Stadt hatte ihre
eigene Gerichtsbarkeit. Die öffentliche Gewalt sollte in manchen Verfassungen bereits
durch Ansätze einer Gewaltenteilung begrenzt und kontrolliert werden.
Die führenden Ämter waren Wahlämter, damit wurde herrschaftliche Funktion durch eine
frei gewählte Obrigkeit ausgeübt. Durch die mittelalterliche Stadtverfassung erfahren
wir erstmals den Unterschied einer grundherrschaftlich-feudalen und einer bürgerlichen
Rechtsordnung. Im Unterschied zu unserem modernen Verfassungsverständnis regelte
die Stadtverfassung nicht nur die Beziehung zwischen Bürger und staatlicher Obrigkeit,
sondern umfaßte den gesamten Rechtsbereich des Privatrechts, des Verfahrens- und
Strafrechts. Zwar finden wir Ansätze einer Ausgliederung von Schul- und Handelsrecht,
doch die eindeutige Trennung von öffentlichem und privatem Recht kannte man noch
nicht. Auf das städtische Recht wurde der Bürger vereidigt. Die Stadt war eine Eidgenossenschaft
. Der Bürgereid war das eigentliche verfassungsbegründende Konstruktionsmoment
der gesamten rechtlichen Stadtverfassung.

Das Entstehen der Stadtkultur macht deutlich, wie die ökonomische Entwicklung ihren
Entfaltungsraum sucht, dabei die bestehenden gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen
durchbricht und eine neue Dimension persönlicher Freiheit hervorbringt. Die Stadtverfassung
ist Ausdruck eines neuen politischen Gestaltungswillens, begründet durch soziale
und wirtschaftliche Veränderungen.

Wir erkennen in ihr die Anfänge des Auflösungsprozesses der überkommenen mittelalterlichen
Ordnung.

Thomas Bilharz

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