Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
4. Jahrgang.1984
Seite: 102
(PDF, 33 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-1984-4/0104
»... damit dieser Ort kräftiger gedeihe!«
Beobachtungen zu den Anfängen der Stadt Kenzingen*

»Wie im Mittelalter« - Der Vergleich geht uns recht leicht von den Lippen, wenn wir Zustände charakterisieren
wollen, die wir als hoffnungslos überholt ansehen und als Gegenbild zu unserer fortschrittlichen
modernen Kultur einschätzen. Weithin verbinden wir mit diesem Urteil die Vorstellung
von Rückständigkeit, Unmündigkeit, Unfreiheit. Was berechtigt uns eigentlich zu dieser überheblichen
Haltung? Stände es uns nicht gut an, einmal offener und ohne Vorurteil zu betrachten, wie unsere
Vorfahren ihr Leben gestaltet haben und Probleme ihrer Zeit zu bewältigen suchten? Der Blick in
die Vergangenheit könnte uns vielleicht mißtrauisch machen gegenüber unseren wie selbstverständlich
angelegten Maßstäben. Sie wandeln sich ja auch, - sogar immer schneller. Er könnte zudem Einsichten
vermitteln in Zusammenhänge, die sich im Grunde genommen für die menschliche Gesellschaft
immer wiederholen.

Die Stadt Kenzingen hat die 700-jährige Wiederkehr eines wichtigen Datums ihrer Geschichte zum
Anlaß genommen, darüber nachzudenken, was es für uns heute noch bedeuten kann. Sie blickt auf
die Anfänge ihres Gemeinwesens zurück, dessen innere Ordnung und Struktur durch ein berühmtes
Zeugnis von 1283 für uns heute noch erkennbar sind. Es ist auf einem einfachen Pergamentblatt, circa
40 auf 50 cm groß, überliefert. Heute befindet es sich, sachgerecht aufbewahrt, im Stadtarchiv von
Freiburg unter der Sigle »Kenzingen Nr. 1«. Am unteren Rande waren ursprünglich zehn Wachssiegel
an Seidenfäden befestigt; heute sind davon nur noch neun erhalten. Sie repräsentieren die Teilnehmer
jenes Rechtsaktes, der am 6. Juli 1283 vollzogen wurde. Der Text ist, wie es damals fast selbstverständlich
war, in lateinischer Sprache abgefaßt. Das erschwert uns Heutigen den Zugang; nicht weil
es niemanden mehr gibt, der Latein versteht, sondern weil wir nicht sicher sein können, ob unsere
Übersetzung den richtigen Sinn des lateinischen Wortes trifft.

Initiatoren des Vorgangs, von dem der Text auf dem Pergament erzählt, waren die adligen Herren
von Üsenberg, Hesso IV. und Rudolf III. Sie waren Vettern und übten seit dem Tode Rudolfs II.
(1258) gemeinsam die Herrschaft über den weit verstreuten Familienbesitz und das umfangreiche Lehensgut
aus, das ihrem Geschlecht im Laufe der Zeit übertragen worden war. Gemeinsam verpflichteten
sie sich, jene Freiheiten zu wahren und zu achten, mit denen Rudolf II. seine Stadt Kenzingen begabt
hatte. Mit einem Bericht über diesen Rechtsakt beginnt die Urkunde, so daß der Text zwei völlig
verschiedene Vorgänge bezeugt, die eine ganze Generation auseinander liegen: Die Gründung der
Stadt Kenzingen 1249 und die erneute Anerkennung ihres besonderen Rechtsstatus 1283.
Beide Vorgänge will ich nun zunächst getrennt voneinander betrachten. Ich will versuchen, sie in ihre
jeweilige geschichtliche Situation hineinzustellen und den möglichen Motiven der Akteure nachzugehen
. Warum kam Rudolf II. von Üsenberg auf die Idee, eine Stadt zu gründen? Entsprang sie nur der
Laune eines Mächtigen oder stand hinter seinem Handeln eine wohlüberlegte Konzeption?

Die Entscheidung neben dem lange schon bestehenden Dorf Kenzingen eine Stadt gleichen Namens zu
gründen, fiel in eine Zeit größter politischer Spannungen im deutschen Reich.
1245 hatte Papst Innozenz IV. in seinem Kampf mit Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen zum radikalsten
Mittel gegriffen, um den Gegner endgültig zu treffen: Auf dem Kirchenkonzil von Lyon verkündete
er feierlich den Bannfluch über den Kaiser und erklärte ihn aller seiner Würden beraubt. Er
verbot, daß diesem in Zukunft irgend jemand gehorchen dürfe. Alle, die ihm weiterhin noch zur Seite
stehen, sollten selbst auch exkommuniziert sein. Jene aber, denen es zustehe, dem Reich einen neuen
Kaiser zu wählen, forderte er auf, sofort die Wahl eines Nachfolgers vorzunehmen.
Der ungeheuerliche Spruch erregte damals ganz Europa und schuf überall im Reiche Zwietracht. Einigen
Fürsten kam er freilich höchst gelegen. Sie wählten ohne Zögern einen neuen König gegen den
staufischen Kaiser und dessen Sohn Konrad IV., der seinen Vater seit 1236 in Deutschland vertrat.
»Pfaffenkönig« verspottete man den Neugewählten. Als er bald darauf schon starb, erhoben sie 1247
sofort einen Nachfolger. Politisches Chaos und Bürgerkrieg waren das Ergebnis. Schiller nannte diese
Jahre »die kaiserlose, die schreckliche Zeit«.

*) Der vorliegende Text stellt die leicht überarbeitete Fassung des Vortrags dar, den der Verfasser anläßlich
der Festveranstaltung »700 Jahre Verfassungsurkunde der Stadt Kenzingen« am 3. Juni 1983
in Kenzingen gehalten hat.

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