Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
5. Jahrgang.1985
Seite: 88
(PDF, 23 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-1985-5/0090
Die Schaukel am Birnbaum
Novelle von Karl Kurrus

Der Bauernhof war ganz am Ende des Dorfes. Haus, Stall und Scheune standen an einem
Hang dicht beieinander. Im umzäunten Bauerngarten stand ein Birnbaum. Seine knorrigen
Äste verrieten sein Alter. Es mögen drei oder mehr Geschlechter gewesen sein, seitdem
er gesetzt worden ist. In all den Jahrzehnten hat er mit seinem Blühen und mit seinen
Früchten jung und alt erfreut. Eine besondere Freude war es für die jeweils Jüngsten, wenn
am untersten Ast des Baumes, mit zwei Stricken und einem schmalen Brett, eine Schaukel
gemacht wurde. Oft war es schwer es so einzuteilen, daß die Kinder ohne Streit nacheinander
dran kamen. Mit einem sachten oder auch heftigen Anschucken hat es begonnen; es
wurde Schwung geholt und, die Füße voraus, dem sonnigen Himmel zugeschaukelt. Ein
ungetrübtes und unvergeßliches Kinderparadies.

So vergingen die Jahre. Else, das älteste Mädchen vom Hof, war gerade siebzehn geworden
, als der Birnbaum wieder seine weiße Blüten zeigte. Von ihrem Fenster aus sah sie jeden
Morgen, an dem Birnbaum vorbei, über den Hang zu einer neugewordenen Straßenbiegung
. Seit ein paar Jahren stand dort ein neues Haus und davor, auch im Garten, eine
junge Birke. In der Morgensonne wirkte der helle weiße Birkenstamm, wenn auch noch
schmal und zart, wie ein zierliches Band, das die grünende und blühende Erde mit den
wandernden Wolken am Himmel verbinden will. Bei diesem Anblick wandern auch die
Gedanken des jungen Mädchens, aber nur bis hinüber in jenes Haus, wo ein junger Bursche
daheim ist. Im Stillen verehrt Else diesen, obwohl es bisher noch keine Begegnung mit
ihm gegeben hat. Ohnehin reichte es kaum zu mehr als einem geheimen Wunsch, weil jene
Familie reicher, vornehmer und auch nicht aus dem Dorf oder wenigstens aus dieser Gegend
war.

Immer wieder vergingen Tage und Monate. Als die Birnen reif wurden, gab es, wie in jedem
Jahr, ein Dorffest. Da kam für Else eine große Überraschung. Der junge Mann, vom
Haus mit der Birke, war auch zugegen. Er holte seine Nachbarin über dem Hang zu einem
Tänzchen besonderer Art. Als die Beiden gerade auf dem markierten Kreis tanzten, hat die
Musikkapelle ihr Spiel abgebrochen. Nach altem Brauch kamen die Zwei zu der Freude
und Ehre, zu einem gutmundenden Wein eingeladen zu werden. Darüber hinaus war es üblich
, in diesem Falle der Tänzerin einen hübschen Blumenstrauß zu überreichen. So geschah
es. Else sah diesen Blumenstrauß an und es war ihr, als habe das leuchtende Zeichen
vom Birkenstamm, das Erde und Himmel miteinander verbindet, diese Freude für sie vorbereitet
. Mit klopfendem Herzen saß das junge Mädchen, leicht errötend, neben dem eleganten
aber sich bescheiden gebenden Jüngling. Die Worte, welche sich beide gaben, kamen
nur zaghaft. Aber jedes dieser Worte wog doppelt, weil sie von Herzen kamen.
Schnell verging dieser festliche Tag. Halb träumend schlenderten die jungen Leute, die sich
zum erstenmal trafen, dem Hof mit dem Birnbaum zu. Der Abschied war fast nur höflich
und im Herzen des Mädchens war wieder mehr Platz für die Sehnsucht, als für ein gegenwärtiges
Glück.

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