Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
17. Jahrgang.1997
Seite: 40
(PDF, 31 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-1997-17/0042
Gespräche mit dem Wein

von Curd Ochwadt

Als Heinrich Ochsner anfangs der 1950er Jahre zum ersten Mal fragte: „Trinken Sie eine Flasche
Wein mit mir?", bot er in der einfachen Frage eine freundschaftliche Ermunterung an,
mit der plötzlich, als sei eine Tür durchschritten, vor Öffnen der Flasche ein helleres Gebiet
vor einem lag. Damals spürte ich nur die veränderte Stimmung und sah nicht voraus, wohin
die Einladung führte noch welche gemeinsamen Gedanken sich in künftigen Stunden des
Weins entfalteten. Daß die unscheinbare Welle seiner Vorfreude auf die Koinonia mich erreichte
, war ihm nicht mehr als natürlich.

Mit der weitergehenden Umstimmung seines Befindens im leibhaftigen Rebenwunder, worin,
was mir erst später aufdämmerte, auch seine Schwermut sich hingab, lockte er Erinnerungen
und Vermutungen aus meinem bisherigen Umgang mit dem Wein, besonders während eines
Kriegsjahres in Italien, ans Licht des Gesprächs. Deren Mitteilung erheiterte auch ihn, er ging
darauf ein, wir begegneten, ja fanden einander in weit entfernten Weingegenden. Erinnerungen
und Gespräch durchmaßen bald in manchen Kreisen und Wendungen viele andere Gebiete
. Doch immer wieder ließ die Aufhellung im Wein ihm Bemerkungen über die Reben, ihre
Arten, über den Weinbau, die Weinbaugeschichte, Symbolik und Sakramentalität des Weins
entstehen. Mit ihnen gab er meinen beschränkten Weinerfahrungen, die neben seinem in einer
Reblandschaft mit dem Wein begonnenen Leben erst noch zu reifen hatten, in vieler Hinsicht
klarere und festere Strukturen, rückleuchtende Perspektiven, neue Aufschlüsse und Ausblicke.
Wußte man einen Wein zu würdigen, so steigerte seine Freude sich zum Entzücken.

An vielen Abenden in Freiburg und nach Wanderungen durch die Landschaften des Breisgaus
und des Schwarzwalds, die er in einem für seine unverfälschten Weine ihm bekannten Wirtshaus
enden ließ, haben wir über das unerschöpfliche Thema gesprochen und geschwiegen.
Obwohl er ein großer Kenner der badischen und anderer Weine war und ich ihm eine freilich
unabschließbare Einführung in die Geheimnisse ihrer Vielfalt verdanke, ging es in diesen Gesprächen
niemals hauptsächlich um das, was man Weinkennerschaft nennen könnte. Es ging
vielmehr, wenn das Wort so erlaubt ist, um das gemeinsam unerschöpfliche Aufgehen von
Geist und Sinn in die Weitsichten, Einsichten und zeitendurchflügelnden Anblicke, die sich
frei aus dem Miteinander entfalteten, wie eine Blüte in ihre Gestalt aufgeht. Darüber zu sprechen
ist eigentlich verkehrt, - und nur mit Empfänglichen möglich, nur mit ihnen ist es kein
Unrecht. Man muß es geschehen lassen: den Wein trinken und sein leibhaft-sinnenhaftes Verwandeln
sich schenken lassen. Der Duft, das kühle Licht: Zunge, Mund, Gemüt, der ganze
Mensch, die Partnerschaft mit ihren grenzenden Bestimmtheiten, die Freundschaft mit ihren
öffnenden Tiefen des Einanderverbundenseins kommen in die Sphäre anderer Erhellung.
Wohin dann Gedanken und Gespräche sich wenden, mag aus den scheinbar zufälligen Neigungen
und Augenblicksbindungen der Anwesenden hervorzugehen scheinen. Aber es ist,
sind sie im Blick jenes helleren Auges versammelt, alles zugelassen, nichts ist mehr zufällig,
aber alles offen dem Einfall - es läßt sich teilen, erwidern, emporhelfen. Wo sonst ist, in einer
durch Exsekration der Erde und Verwüstung des Menschenwesens verdüsterten Welt, schen-
kenderes Anderssein, wo umfassender einräumendes Sehen möglich?

Die Gedanken glitten hin zu den nach Zeugnissen der Vasenmalerei, der Plastik und der Texte
aufstehenden Symposien und gottheitstrunkenen Umzügen der Antike. Wir sahen, wie fremd
und andersartig damalige Bräuche des Umgangs mit dem Wein waren, doch auch, wie sein
Beschwingen im Eigenen der anderen Gestalten dasselbe war. Unvorstellbar, es ihnen nachtun
zu wollen. Die großen festlich bebilderten Kratere (Mischkrüge) der Griechen zeigten schon
an ihrer Gestalt, daß sie Mittelpunkte der feiernden, im Reden-Austausch sich findenden
Gesellschaften waren, an die die zu mischenden Gewächse in unscheinbaren Vorratskrügen

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