Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
18., 19. und 20. Jahrgang.1998-2000
Seite: 173
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-2000-18-20/0175
Die ersten Jahrzehnte als badische Stadt waren in Kenzingen von einem steten Kampf um
Ämter und Behörden gekennzeichnet. Wo geht das Bezirksamt hin? Bleibt das Amtsgericht?
Bis 1872 konnte Kenzingen Sitz des Bezirksamtes bleiben, ehe dieses aufgelöst und in das
Emmendinger Amt integriert wurde. Als nächstes drohte der Verlust des Amtsgerichtes. Nur
durch den Neubau auf Kosten der Kommune in Höhe von 90.000 Reichsmark konnte die
Rückverlegung nach Kenzingen 1880 erreicht werden.

1857 wurde die Gemeindekasse geraubt. Der Fall konnte nie aufgeklärt werden. Hartnäckig
hielt sich ein Gerücht, das den damaligen Bürgermeister mit diesem Ereignis in Verbindung
brachte. Noch bei der Bürgermeisterwahl 1870, als dieser sich zur Wiederwahl stellte, waren
die Ereignisse nicht vergessen. Auch das Bezirksamt hatte von ihm kein positives Bild. Man
beschrieb ihn wie folgt: "Während er nach unten stolz, in dem Gemeindekollegium herrisch
ist, hat er keinen Begriff von seinem Selbstverwaltungsrecht und ist wohl der Grundzug seines
Wesens Eigensinn". Diese Meinung teilte die Mehrzahl der wahlberechtigten Kenzinger. Sein
Gegenkandidat, Ratsschreiber Tritschler, wurde neuer Bürgermeister.

Armut war auch weiterhin ein großes Problem für die Stadt und ihre Bewohner. Bedürftige
wurden nun durch die Stadtkasse unterstützt. Dies konnte mit Auflagen verbunden sein. Die
Unterstützung einer Familie wurde nur unter dem Vorbehalt gewährt, daß der Mann seine
Frau nicht länger mißhandelte. Zur Entlastung der Gemeindekasse öffnete die Stadt das Ventil
der Auswanderung. Auswanderungswilligen wurde sogar die Schiffsreise nach Amerika bezahlt
. Dies war immer noch billiger als jahrelange finanzielle Unterstützung. Zwischen 1871
und 1894 wanderten 81 Kenzinger aus.

Die hygienischen Verhältnisse waren immer noch nicht sichtbar besser geworden. Ständig
mahnte das Bezirksamt die Sauberhaltung der Stadt an. 1894 forderte das Bürgermeisteramt
die Hausbesitzer auf, mindestens zweimal in der Woche, am Mittwoch und Samstag, die
Straßen und Rinnen vor ihren Häusern zu putzen. Schwäbische Verhältnisse in Kenzingen!

Zu Anfang des 20. Jahrhunderts war Kenzingen immer noch stark landwirtschaftlich geprägt.
1925 gab es hier 559 landwirtschaftliche Betriebe, davon 80 % mit weniger als zwei Hektar
Anbaufläche. Vieh gehörte selbstverständlich zum Ortsbild. 1929 verbot die Stadt, an den öffentlichen
Brunnen der Hauptstraße Pferde und Rinder zu tränken. Diese Maßnahme rief heftigen
Protest hervor. Erst 1934 wurde sie eingeschränkt: das Verbot galt nur noch an Sonn-
und Feiertagen.

Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Damit begann auch für
Kenzingen eine zwölf Jahre dauernde schreckliche Zeit. Viele Kenzinger standen jedoch dem
Nationalsozialismus reserviert gegenüber. Es zeigten sich hier mehr Bewohner als anderenorts
, wenn auch im Laufe der Jahre immer weniger, unbeeindruckt von Einschüchterung und
Verführung.

Ein Beispiel aus dem damaligen Alltagsleben in der Stadt. Bei der Bewerbung um eine
Lehrstelle auf dem Kenzinger Rathaus griff ein Funktionsträger der NSDAP in das Bewerbungsverfahren
ein. Ein Bewerber sei, so schrieb er entrüstet, nicht Mitglied der Hitlerjugend.
Zudem weigere sich dieser beharrlich, der HJ beizutreten. "Ein solcher Mensch habe", so
schrieb der Denunziant, "keinerlei Anspruch oder Berechtigung bei der Vergabe von öffentlichen
Lehrstellen berücksichtigt zu werden". Die Stelle bekam ein anderer Bewerber.

1935 lebten in Kenzingen 15 Mitbürger israelitischen Glaubens. Sie wurden verschleppt, zum
Teil ermordet. Manche überlebten den Holocaust.

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