Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
24. und 25. Jahrgang.2004/2005
Seite: 14
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land als Ort unbegrenzter wirtschaftlicher Möglichkeiten und die deutsch-französische Zusammenarbeit
als das hehre Ziel europäischer Politik darstellte, hatten anfangs tatsächlich Erfolg.
Aber schon bald reichte der Zustrom von Freiwilligen nicht mehr aus. Aus „Releve" wurde
schließlich „STO, Service de Travail Obligatoire" (8), was als „verbindlicher" oder „vorgeschriebener
Arbeitsdienst" übersetzt werden könnte, einer Art Zwangsarbeit, beschönigend
„Fremdarbeit" genannt, für die allerdings weiterhin ein bescheidener Lohn gezahlt wurde.
Zwar steigerte man die Anstrengungen zur Anwerbung von Arbeitskräften und lockte mit
immer kühneren Versprechungen, aber Widerstand innerhalb Frankreichs und Einsicht in die
Realität bewirkten, dass das von Deutschland geforderte Kontingent an Fremdarbeitern nur
durch Zwangsverpflichtung und drohende Repressalien bei Zuwiderhandlungen annähernd zur
Verfügung gestellt werden konnte. Frankreich war zu einem weiteren Lieferanten ausländischer
Zwangsarbeiter (9) geworden.

Zunächst waren nur Facharbeiter, später normale Arbeiter angenommen worden. Jedoch bald
sah sich die französische Regierung gezwungen, das Alter der zum Frondienst Herangezogenen
zu senken, und schließlich wurde nur noch nach Jahrgängen bestimmt, wer die deutschfranzösische
Zusammenarbeit beflügeln durfte. Es hatte zwar Versuche gegeben, die Einberufung
zu umgehen, indem man sich in Frankreich in Betrieben anstellen ließ, die direkt oder
indirekt für Deutschland produzierten. Auch Jose Cabanis hatte vergeblich versucht, seiner
Verpflichtung zur Fremdarbeit zu entgehen, indem er in einer Bleimine Arbeit annahm (10).
Aber 1943 waren Jose und seine Kommilitonen des Jahrgangs 1922 ausgewählt worden, in
einer Fabrik für Funkgeräte in Deutschland leichte Tätigkeiten, wie sie meinten, zu verrichten.
Da als letzter Ausweg nur noch die Möglichkeit des Untertauchens mit all ihren Folgen für die
Angehörigen geblieben wäre - eine für Jose indiskutable Alternative -, saß er in dem langen,
langsamen Zug, der den Rhein überquerte und seine Reisenden unwiderruflich zu aktiven Teilnehmern
am Kriegsgeschehen machte. Resignierend stellte er fest: Ich trat wirklich in den
Krieg ein.16

So kommt es, dass Jose Cabanis, Student aus Toulouse, der noch nie zuvor seine Heimat verlassen
, noch nicht einmal Paris gesehen hatte,17 am Samstag, dem 31. Juli 1943 seinen Eltern
seine neue Adresse (mit leichten Mängeln im Deutschen) mitteilt:

Frako-Kondensatoren und Apparatebau - W. Melke. Teningen im Baden Köndringen Strasse.
Lager Winzerhalle. Köndringen i. Baden. Deutschland. 18 (11)

Bevor Jose seinen ersten Brief aus Deutschland abschließt, erinnert er seine Mutter noch an ein
ihm wichtiges Versprechen: Vergessen Sie nicht, mir alle sechs Tage zu schreiben, wie Sie es
mir zugesagt haben. Sie können sich nicht vorstellen, wie gut mir ein Brief tun wird ... Genau
genommen bin ich jedoch nicht eine Sekunde deprimiert. Aber wenn ich an Sie alle, die Sie so
weit weg sind, denke, bin ich öfters traurig. ... [...] Traurig umarme und küsse ich Sie beide.
Seien Sie jedoch unbesorgt: Ich bin und war auf der ganzen Reise sehr guten Mutes, während
andere den Kopf hängen ließen. Viele, viele Küsse, Jose.'9

16 Cabanis, Petit entracte, S. 103.

17 Ich hatte vorher nur in Südfrankreich gewohnt, ohne es je verlassen oder gar ein einziges Mal Paris
gesehen zu haben; und da befand ich mich nun auf der anderen Seite des Rheines..., Cabanis, Les pro-
fondes annees, S. 242.

18 Cabanis, Lettres, S. 18.

19 Ebd., S. 18 ff.

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