Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
24. und 25. Jahrgang.2004/2005
Seite: 21
(PDF, 30 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-2005-24-25/0023
Nach 5V2 Stunden ununterbrochener Nachmittagsarbeit kommt endlich die Zeit des Abendessens
. Es wird in der Winzerhalle eingenommen und besteht aus einer in der Kantine ge-
fassten Suppe. Das ist alles zum Abendessen. [...] Da die Suppe ein bißchen wenig ist, gehe
ich mit Cestan und Merle und zwei anderen zum Abendessen in ein Gasthaus der umliegenden
Orte, wo man sehr gut ißt. Wir bleiben bis um 10 Uhr dort und hören Radio (ich, ich lese zur
Zeit „Die Kartause von Parma"), und in der Nacht kommen wir hierher zurück zum Schlafen.
[...] Alle Tage sind gleich, und, mit einer Uhr in der Hand, können Sie fast auf die Minute
genau verfolgen, was ich gerade mache. Alles ist bis ins Kleinste genau geregelt.40

Wochenende

Nur die Wochenenden erlauben etwas Abwechslung: Der Samstag Nachmittag ist frei, ebenso
wie der Sonntag. Cabanis hat einen Winkel gefunden - oft ist es auch die Toilette -, wo er
ungestört lesen kann. In der Winzerhalle werden sie ständig von sich ablösenden Arbeitern aus
der Fabrik bewacht. Einmal hat er einem der deutschen Wächter eine Zigarette angeboten,
woraufhin dieser ihm zwei Birnen holte. Ein anderes Mal erhielt er von einer Arbeiterin zwei
Kilo Brot. Jose berichtet dies seinen Eltern als kennzeichnend für die Freundlichkeit der
Deutschen, von denen er noch kein böses Wort vernommen hat. Die Deutschen, insbesondere
die Arbeiter, sind einfach nett zu uns.4] Am Sonntag folgen auf längeres Ausschlafen der Kirchgang
und am Nachmittag gelegentlich eine Fahrt nach Freiburg oder ein Ausflug zu Fuß nach
Emmendingen oder in die Umgebung. Von einem dieser Spaziergänge kam Jose im Laufschritt
nach Köndringen zurück, weil er verfolgt wurde - von Schwärmen von Schnaken und
Bremsen. An einem anderen Wochenende war er mit Bonnefond in einem Cafe in Emmendingen
, in einer Art „ The", sehr schick (wie man sie in Frankreich nur in Großstädten findet, aber
hier ist alles sauber und gepflegt). Leider mußte ich für diese Gelegenheit von Cestan eine
Hose und von Merle ein Jackett ausleihen, was ich immer machen muß, wenn ich Köndringen
verlasse.*1 Max Bonnefond wurde sein bester Freund in Kenzingen.

An einem feuchten, grauen Sonntag bestieg Jose mit einigen Kameraden in zwei Stunden den
Kandel, dessen Gipfel aber leider in den Wolken steckte. Statt der erhofften Aussicht genossen
sie daher die Einkehr in der sehr behaglichen Herberge, in der sie wie die Könige essen und
viel Milch trinken^ konnten. Zufrieden und hocherfreut und im Bewußtsein, dass ihnen die
Bewegung gut getan habe, sind die jungen Leute dann wieder abgestiegen. Ein kleiner Umweg
über Freiburg mit einem Kinobesuch schloss den Tag ab. Zweimal Essen und das Kino haben
mich 10 Mark gekostet. (Ich muß auf jeden Fall am Sonntag in einem Gasthaus zu Mittag und
zu Abend essen, da die Kantine geschlossen ist.) Am Montag habe ich 7 Mark für den Tabak
der Woche und 2 Mark für die Wäsche der Woche bezahlt. Das heißt, ich habe, ohne etwas
Außergewöhnliches zu tun, in zwei Tagen das ausgegeben, was ich in zwei Wochen verdienet

Eine Verbesserung seiner Lage versprach sich Jose vom Besuch bei einer Dame, einer Bekannten
eines Freundes seines Vaters. Diese „Frau Doktor" lebe in Freiburg Günterstal, spreche
französisch und sei sehr liebenswürdig. Jose erhoffte sich durch ihre Vermittlung ein völlig
neues Leben ohne Fabrik in irgendeinem Büro, wo Schreib- und Papierkram auf ihn warten,
wo er ein Zimmer in der Stadt und freie Abende zum Lesen haben würde. Die Straßenbahn

40 Cabanis, Lettres, S. 43.

41 Ebd., S. 57.

42 Ebd., S. 51 f.

43 Ebd., S. 107.
«Ebd.

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