Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
24. und 25. Jahrgang.2004/2005
Seite: 49
(PDF, 30 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-2005-24-25/0051
Ein eigenes Zimmer

Der 8. November wird ein ganz besonderer Tag für Jose. Am 6. hatte er erfahren, dass er
zusammen mit B. und S. Kenzingen verlassen müsste, um in einer anderen Fabrik zu arbeiten.
In welcher, wurde ihnen nicht mitgeteilt. Für Jose hieß dies, seine Kameraden und seine Anna
verlieren, Einsamkeit inmitten unbekannter Leute, Aufgabe all dessen, was sein Leben im
Feindesland erträglich gemacht hatte. Er verbrachte eine schlaflose Nacht mit viel Rauchen,
versuchte zu lesen, und musste doch immer wieder an das Unbekannte, das ihn erwartete, und
das Vertraute, das er verlieren würde, denken. Den ganzen folgenden Tag harrte er, außer sich
vor Aufregung, der endgültigen Entscheidung, fragte hier und erkundigte sich dort nach
Neuigkeiten und konnte ebensowenig essen, wie er in der Nacht geschlafen hatte. Nirgendwo
hielt es ihn, er war verzweifelt und machte sich lächerlich. Dann, endlich gegen drei Uhr er-

Und nicht einmal ins Lager
brauchte er zurückzukehren
, denn er hatte die
Erlaubnis erhalten, privat
ein Zimmer in der Stadt zu
mieten. Am 8. November
1944 zieht er als Mieter bei
der Familie Himmelspach
(38) ein. Noch nach 30
Jahren spiegelt Cabanis'
Kommentar die Freude und
den Stolz wider, die er als
junger Mann bei diesem
Ereignis empfand: Mein
Zimmer lag im ersten Stock
genau neben dem einzigen
in Kenzingen erhaltenen
Stadttor. Ich hatte ein richtiges Bett mit riesiger Daunendecke, Leintüchern, den unvorstellbaren
Luxus eines Tisches, an welchem ich schreiben konnte, und hatte zwei Fenster auf jene
Straße, welche Kenzingen bis zum Bahnhof durchquert.^ Nach mehr als einem Jahr im Lager,
währenddessen er niemals alleine gewesen war außer mit einem Buch in den Hügeln und im
Wald, war ein eigenes Zimmer in seinen Augen eine unermessliche Vergünstigung.

Über eine gerade Treppe stieg man hinauf in das Haus und befand sich unvermittelt in einem
Zimmer, in dem ein Blinder mit den Fingern in einem dicken Buch las. Er hatte im Ersten
Weltkrieg sein Augenlicht verloren und lächelte immer, wenn er sich an Jose wandte, ohne dass
dieser je erfahren hätte, was er dachte. Seine große, hagere Frau gab ihrem Gast sonntags
Kuchen und sprach von Zeit zu Zeit mit ihm, aber - seiner Meinung nach zu Recht - ohne
Wärme. Bis ins folgende Frühjahr wohnte er am Stadttor, fühlte sich dort aber nie wirklich
heimisch. Mein richtiges Haus war das von Paula (39), das ein paar Meter weiter lag, wo ich
meine letzten Wochen in Deutschland verbrachte. Ich kann fast sagen, daß ich mich dort nicht
mehr im Exil fühlte.™

fuhr er, daß er Kenzingen gar nicht verlassen musste.

Abb. 37: Haus Himmelspach (links vom Tor).

119 Cabanis, Les profondes annees, S. 230.
,2"Ebd., S. 231.

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