Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
24. und 25. Jahrgang.2004/2005
Seite: 71
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-2005-24-25/0073
Am Abend erhält Jose den Auftrag, bei Kaiser in Kenzingen Decken zu holen. Um Mitternacht
marschieren er, ein Italiener und zwei Franzosen los nach Freiburg. Da es dort keinen Zug in
Richtung Offenburg gibt, geht Jose zu Fuß alleine weiter. Er hat Glück und trifft auf mehrere
Lastwagen, die ihn ein Stück weit mitnehmen.

Früh um 5 Uhr am 10. April ist er in Kenzingen. Im Laufe des Morgens spricht Paula auf dem
Arbeitsamt vor. Beim fehlgeschlagenen Versuch, für den Einsatz auf ihren Feldern der
Zuteilung zur Organisation Todt zu entgehen, hatte Jose seine Arbeitserlaubnis für Kenzingen
verwirkt. Diese nun fordert Paula zurück, aber man lehnt ihren erneuten Antrag mit der
Begründung ab, dass es hierfür jetzt zu spät sei. Jose verbringt den Rest des Tages, indem er in
den Hügeln hinter Kenzingen Schlaf nachholt und vor und nach dem Abendessen mit Anna
einen Spaziergang macht.

24 Sunden nach seiner Ankunft in Kenzingen sitzt er wieder im Zug nach Freiburg. In seiner
Tasche hat er einen Brief Paulas an die Organisation Todt mit der Forderung seiner Freigabe.
Als er wieder die 10 km nach Bollschweil auf Schusters Rappen zurücklegen muss, bedauert
er seine Ungeschicklichkeit auf dem Arbeitsamt und bei Kaiser (kurz vor seiner Abfahrt am 4.
April hatte man ihm dort ebenfalls in Aussicht gestellt, ihn möglicherweise weiter zu
beschäftigen), ohne die er vielleicht in Kenzingen hätte bleiben können, und er überdenkt seine
Situation: Andererseits [...] war ich Anna (die ich dennoch weiterhin liebte!) seit über zwei
Monaten nicht mehr treu, und ich [...] zeigte mich unfähig, mich zu zügeln und ein gutes Leben
zu führen. Seit zwei Monaten möchte ich diese Situation beenden; ich gehe zur Beichte und
möchte als Christ leben und fange zwei Tage später wieder von vorne an, unfähig, den sich
bietenden Gelegenheiten zu widerstehen und meinen doppelten Entschluß zu halten, Anna
nicht mehr zu betrügen und das, was für Katholiken Sünde ist, nicht mehr zu tun. Ich habe mir
selbst die lächerliche Komödie vorgespielt von einem, [...] der glauben will und dann alles tut,
was nötig ist, damit der Glaube nicht von ihm Besitz ergreift.169 Er sagt sich wieder einmal, dass
er sein Leben von Grund auf ändern muß, weil er ohne Glauben nicht leben kann, und auf dem
Weg nach Bollschweil betet er den Rosenkranz. Und da er glaubt, dass der letzte Versuch, mit
Hilfe von Paulas Brief nach Kenzingen zurückzukommen, scheitern werde, weil nach Meinung
aller ein Verlassen der Organisation Todt unmöglich sei, bittet er Gott um Beistand.

Und wider alles Erwarten gibt es in Bollschweil nicht die geringste Schwierigkeit, so dass am
Nachmittag des 11. April Jose mit seinem Arbeitsbuch (livret de travail) und seinem ganzen
Hab und Gut nach Kenzingen zurückkehren kann. Glücklicherweise hilft ihm C., es bis nach
Freiburg zu schleppen; alleine hätte er das nicht geschafft, zumal seine Füße von den zahlreichen
Märschen ihn so schmerzen, dass er kaum noch gehen kann. Dennoch versäumt er es
nicht, die Zeit bis zur Abfahrt des Zuges für einen Gang durch Freiburg zu nutzen. Das
Stadtzentrum war nur noch ein Trümmerhaufen. Inmitten eines Platzes aus Ruinen erhebt sich
das Münster. Die Adolf-Hitler-Straße besteht nicht mehr. Man denkt an all die Toten, die noch
in den zusammengebrochenen Kellern unter den eingestürzten Häusern liegen. Die Bäume
blühen den Straßen entlang, und in dieser trostlosen Verwüstung spürt man den Duft des Frühlings
.™ Am Abend um 9 Uhr fährt Joses Zug.

Am nächsten Morgen hat der Heimkehrer in seinem Zimmer bei Paula gut geschlafen. Er
rasiert sich genüsslich und lauscht dem französischen Radio, wie er es in Frankreich gewöhnt
war, und was er seit zwei Jahren hatte entbehren müssen. Nach Monaten der Unsicherheit, der
Fragen und der vergeblichen Versuche ist es ihm gelungen, einen Platz zu finden, wo er ganz

Cabanis, Les profondes annees, S. 285.
Ebd., S. 286.

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