Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
24. und 25. Jahrgang.2004/2005
Seite: 75
(PDF, 30 MB)
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daß die Stadt besetzt sei. Mit Nina, die auch dahin geflohen war, wollten wir ihm folgen. Eine
Granate schlägt nicht weit von uns ein, denn die deutsche Artillerie schießt auf Kenzingen. Wir
rennen in den Keller zurück. Bald darauf gehe ich wieder hinaus, und endlich sehe ich auf der
Straße von Herbolzheim französische Soldaten, die von Haus zu Haus vorrücken. Sie rufen mir
zu, in Deckung zu gehen. Ich nähere mich dennoch und kann mit ihnen sprechen. Danach
Artilleriebeschuß auf die Stadt, die von den französischen Truppen besetzt ist. Neue Granateinschläge
. Die Nacht im Keller verbracht. Keine Lust zu schreiben oder zu beschreiben. Bloß
weg, so bald wie möglich.176

Adieu Kenzingen

Der Tag dämmert, und vor Paulas Haus rattert ein Mannschaftswagen. Allerlei Gegenstände
liegen auf der Pritsche. Ein Mann (der Vater des Zeitzeugen, im Krieg vorgeschobener
Beobachter und Gruppenführer) tritt aus der Tür; er zieht ein Fahrrad hinter sich her und lädt
es hastig auf das Auto. Wieder wird die Tür aufgestoßen: Jose, in deutscher Uniform (51), tritt
heraus, sieht sich vorsichtig um, klettert behend auf die Ladepritsche und versteckt sich. Der
Laster - gefahren von einem Mitglied der SS - setzt sich in Bewegung und bringt Jose nach
Breisach. Dort schwingt er sich auf das Fahrrad und verschwindet.177

Bloß weg, so bald wie möglich™, ist die letzte Zeile, mit der Jose am 20. April 1945 sein Tagebuch
schließt. Auf welche Weise Abschied und Rückkehr nach Frankreich sich dann vollzogen
, dazu schweigt er, und es fehlen gesicherte, schriftliche Angaben (52). Nach beharrlichem
Bitten seines Sohnes Andre erklärte sich Jose Cabanis in den 50er Jahren bereit, beim Mittagessen
über seine Kriegserlebnisse in Deutschland zu berichten. Aufgrund dieser Erinnerungen
kommt sein Sohn Andre Cabanis - mit allen Vorbehalten, wie er betont - zu dem Schluss,
dass die vom Zeitzeugen oben geschilderte, abenteuerliche Flucht seines Vaters Jose nicht die
eigentliche Rückkehr beschreibt. In einer E-Mail vom 21. März 2003 meint er: „Was die
Umstände seiner [Joses] Abreise aus Deutschland betrifft, glaube ich, hatte mein Vater uns
erzählt, dass er von einer Gruppe SS-Leuten mitgenommen worden war, um dem Vormarsch
der Alliierten zu entkommen. Bei diesen Leuten setzte er dann durch, dass sie ihn nach Kenzingen
zurückkehren ließen, um einen vergessenen Gegenstand zu holen, den er von einer
Familie der Stadt erhalten hatte, und dass er sich (in einem Speicher, glaube ich) verstecken
konnte. Von dort, so erzählte er, habe er die französischen Soldaten, die Hauswände entlangschleichend
, einrücken sehen. Er sei dann hinausgegangen, um ihnen anzuzeigen, dass sich
in der Stadt keine Truppen mehr befänden, was sie aber nur teilweise beruhigt habe. So habe
man ihn - ein wenig vor seinen Kameraden aus der Fabrik - nach Frankreich zurückkehren
lassen."179

Es fällt auf, dass in dieser Version drei bereits bekannte Ereignisse und Tatsachen komprimiert
sind: Die vom Augenzeugen berichtete Flucht mit Leuten der SS, Joses „Zimmer" im Speicher

Cabanis, Les profondes annees, S. 291 f.

Zeitzeuge Heinz Thaller am 11.12.2002. Vgl. Glossar 52.

Cabanis, Les profondes annees, S. 291.

Original: « S'agissant des conditions de son depart d'Allemagne, il me semble que mon pere nous avait
raconte que, emmene par un groupe de SS pour echapper ä l'avance alliee, il avait obtenu de pouvoir
revenir ä Kenzingen pour cherche[r] un objet oublie et qu'il avait obtenu d'une famille de la ville de
pouvoir se cacher (dans un grenier me semble-t-il). Ce serait de lä qu'il aurait vu entrer les soldats
francais; rasant les murs racontait-il. II serait alors sorti pour leur indiquer que la ville etait vide de
troupes ce qui ne les aurait que partiellement rassures. C'est ainsi qu'il aurait ete rapatrie en France, un
peu avant ses camarades d'usine.»

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