Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
24. und 25. Jahrgang.2004/2005
Seite: 82
(PDF, 30 MB)
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Religion

Die überraschende Wende dieses Zitats in den metaphysischen Bereich offenbart des Autors
tiefen Glauben, den er sich hart erkämpfte. Die Auseinandersetzung mit seiner Religion beginnt
für ihn bereits vor seiner Kenzinger Zeit: Schon mit siebzehn Jahren war ich von meinem
Glauben nicht sehr überzeugt2™, stellt er in seinem 52. Lebensjahr fest, als er sich seiner
Glaubensprobleme in Deutschland erinnert. Er hält die damals von ihm praktizierte Frömmigkeit
für den Versuch, Festigkeit im Glauben zu finden, und fährt fort: Auch das [die
Auseinandersetzung mit dem Katholizismus] wird mich einst mein ganzes Leben lang verfolgt
haben, aber ich wußte nicht, daß diese Zweifel so früh begonnen hatten. Man könnte hier vieles
dazu sagen.201 Und es folgen über drei Seiten eines Kommentars, der von der Erkenntnis ausgeht
, dass in seinen Jugendjahren der katholische Glaube noch ein dogmatisch festes, unerschütterliches
Gebäude aus einem Guss war. So fest und unbeweglich, dass er sich schließlich
mit Bedauern von der Kirche abwandte, da es ihm einfach unmöglich wurde, alles, was sie
lehrte und forderte, zu akzeptieren. Als Beispiel erzählt er ein Schlüsselerlebnis, bei dem ein
Dominikaner, dem er seine Glaubenszweifel gebeichtet hatte, ihm dafür die Absolution verweigerte
. Ich erfuhr, daß ich kein Katholik war.202

Folglich begrüßte er nach solchem Dogmatismus die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
sich vollziehende Öffnung der Kirche, die mit mehr Toleranz eine größere Komplexität der
Wahrheit und verschiedene Möglichkeiten sie auszudrücken oder sich ihr zu nähern, akzeptierte
. Jedoch ging ihm die neue Toleranz bald zu weit: Aber man wird gleichzeitig von
Dummköpfen überschwemmt.2'0 Cabanis fand, dass jetzt alles in Frage gestellt wurde, dass
jeder seine eigenen Dogmen verkündigte, die großen Vorbilder und Ideale über Bord geworfen
würden und dass die Religion zur Sozialmoral der Nächstenliebe verflachte. Er bedauerte
diesen Verlust von zwei Jahrtausenden fundierten katholischen Denkens und kirchlicher Tradition
: Niemand spreche mehr von Gnade, Sünde, Prädestination, Himmel oder Hölle. Statt
Messen zu lesen, würden die Priester zu Moderatoren kirchlicher Versammlungen, in denen
jeder alles sagen dürfe, in denen statt geistlicher Gesänge die gleiche Musikberieselung zu
hören sei wie aus dem Rundfunkgerät. Er schloss seinen Kommentar mit einem Beispiel für
die in seiner Kirche vollzogenen Änderungen: Ich werde mich immer an jenen Trappisten erinnern
, der, als ich ihn fragte, was sie mit den so herrlichen liturgischen Chorgesängen, den
Antiphonen, die man jahrhundertelang gesungen hatte, gemacht hätten, in Lachen ausbrach,
mir auf die Schultern klopfte und sagte: „ Wir haben sie den Nonnen gegeben. "204

Auf Cabanis' religiöse Krise in seiner Jugend (Ich glaube nicht an Gott; nichts reizt mich, an
ihn zu glauben) 205 folgte die Rückkehr zu einem Katholizismus, der zwar unabhängiger war als
der ihm von seinen Eltern vorgelebte, der sich aber der neuen Toleranz gegenüber als kritischer
und auf seine Weise weitaus strenger erwies. [Gottes] Existenz ist für mich kein Geheimnis
mehr, sondern eine Selbstverständlichkeit™ (58). Doch auch auf dieser festen Grundlage bleibt
der Glaube für ihn bis an sein Lebensende eine Herausforderung, der er sich immer wieder von
Neuem stellen muss: Der Glaube und was er gibt ist kein Zustand: Es gibt Höhen und Tiefen
und Zeiten völliger Leere.201

200 Cabanis, Les profondes annees, S. 35.

201 Ebd.

202 Ebd., S. 36.

203 Ebd.

2,M Ebd., S. 38 f.
205 Ebd., S. 163.
lttb Ebd., S. 165.
21,7 Cabanis, Lettres, S. 120.

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