Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
24. und 25. Jahrgang.2004/2005
Seite: 85
(PDF, 30 MB)
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Literatur

Seit den glücklichen Lesestunden meiner Kindheit war ich zu der Überzeugung gelangt, Bücher
enthielten alles.219 Lesen und Schreiben waren Cabanis' liebste Tätigkeiten; Bücher wurden
zum Mittelpunkt seiner Freizeit und seines Berufes, besser seiner Berufung; Bibliotheken
waren die Kulissen seiner Lebensbühne. Als kleines Kind lauschte er aufmerksam den
Geschichten, die er bald schon selbst las. Ich war ins Leben aufgebrochen mit einer grenzenlosen
Wißbegier und dem einen großen Wunsch, zu dichten - schon mit zehn Jahren hatte ich
meine ersten Versuche hingekritzelt.210 Als Jugendlicher entwickelte er den schriftstellerischen
Ehrgeiz, der ihm dann über die schlimme Zeit als Fremdarbeiter hinweghalf und der ihn als
Erwachsenen zur Meisterschaft führte. Schreiben, das ist das Heilmittel für alles, meine Rettung
.22^ Die Aufnahme in die Academie frangaise war Anerkennung und Lohn für dieses Leben
mit Literatur.

Auch wenn Cabanis
öffentlich als erfolgreicher
Schriftsteller geehrt war,
fand er in diesem wesentlichen
Teil seines Lebens
ebenfalls keine uneingeschränkte
persönliche
Befriedigung. Je reifer er
als Schriftsteller wurde,
desto weniger hat er den
Erfolg seiner Arbeit genossen
. Er erinnerte sich,
dass Literatur ihm zunächst
eine Stütze war: Für die Abb. 60: Cabanis in der Schreibecke in Nollet
Zeit nach der Niederlage

Frankreichs und als der Tod seines Bruders Arnaud bekannt wurde und seine eigene Zukunft
düster und unbestimmt war, schrieb er: Es blieb mir nur die Literatur. [...] Sie war eine Leidenschaft
, die mich lange Zeit aufrecht hielt. Ich bereue sie nicht, denn sie ließ mich glückliche
Stunden erleben, aber die Literatur beschäftigt mich kaum mehr als das Brevier einen Priester,
der nicht mehr daran glaubt. Um genauer zu sein: Ich habe keine Hoffnung mehr, in irgendeinem
Buch ein Geheimnis zu entdecken.222 Schreiben entwickelte sich für ihn zu einer
Notwendigkeit, einem Überlebenselixier, ja, er hat seine schriftstellerische Tätigkeit als Fluch
betrachtet, als Besessenheit, der er verfallen war, der er sein Leben opferte und die ihn
schließlich mit leeren Händen dastehen ließ. Gegen Ende seines Lebens machte Cabanis die
bedrückende Bestandsaufnahme, dass sein Lebenswerk unbedeutend, inhaltlich leer, eitel und
nutzlos sei.

In Deutschland war ich einundzwanzig Jahre alt. Ich war so, wie ich es auch während all der
Jahre bleiben würde, in denen mir die Literatur als Lebensinhalt diente. Ich muß gestehen, daß
außer meinen Eltern alles zweitrangig war. Und dennoch ist es vorgekommen, daß ich schrieb
und veröffentlichte, was ihnen unangenehm war, wie ich wußte. Ich glaubte, sie würden verstehen
, daß dies eben „Literatur" war. Sie verstanden es nicht. Meine Schuld war es, dieses
Risiko leichtfertig einzugehen. Ich erwartete von den anderen ein Verständnis, eine Aufmerk-

219 Cabanis, Trugbild, S. 52.

220 Cabanis, Gabrielle, S. 30.

221 Ebd., S. 16.

222 Cabanis, Les profondes annees, S. 192.

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