Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
24. und 25. Jahrgang.2004/2005
Seite: 96
(PDF, 30 MB)
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V. Hans im Glück

Hans im Glück nimmt eine Sonderstellung in dieser Schrift ein: Weil diese Geschichte nicht
zur eigentlichen Handlung gehört, steht sie ganz am Ende. Weil sie einen personellen und thematischen
Bezug aufweist, sollte sie nicht verschwiegen werden.

Es ist eine fast unglaubliche Geschichte zum Thema „Der deutsche Mann und die fremde
Frau" (Titel und Gegenstand nazistischer, großformatiger Plakate mit fremdenfeindlicher
Hetze), es wäre ein modernes Märchen - mit Prinz und Prinzessin und guter Fee - und könnte
mit „Es war einmal ... „ beginnen, wenn es nicht eine wahre Geschichte wäre:

In Kenzingen wohnte ein junger Mann namens Hans bei seiner Mutter, Rosa Häringer. Er war
der Sohn des zweiten Ehemannes seiner Mutter, und darum war sein Nachname Eisele. Er
arbeitete als Maschinenschlosser, hatte geschickte Hände und war stets hilfsbereit. Wenn
irgend etwas beschädigt war oder seinen Dienst versagte, hieß es immer: „Geh zum Hans, der
kann's." Doch dann brach ein schrecklicher Krieg aus und Hans mußte als Soldat in das ferne,
unendlich große Russland.

Dort wunderte er sich sehr, dass die Leute in diesem fernen, weiten Land Menschen waren wie
er selbst, freundlich, hilfsbereit und gar nicht so, wie es ihm die Führer seines Landes hatten
weismachen wollen. Nur die Sprache war unverständlich und die Schriftzeichen ebenfalls.
Aber Hans gab sich Mühe und bald wusste er sich mit Gesten und Wörtern, die er sich gemerkt
hatte, verständlich zu machen. Er stellte fest, dass die Menschen in diesem fernen Land gastfreundlich
waren und Tanz und Musik liebten. Und da dies auch seinem und seiner Kameraden
Geschmack entsprach, trafen sie sich immer häufiger mit jungen Leuten ihres Alters auf dem
Tanzboden, denn es gibt keinen geeigneteren Ort und keine bessere Gelegenheit Bekanntschaften
zu machen. Und rasch verstand man sich immer besser trotz aller gegenteiligen Behauptungen
, die man zuhause vernommen hatte.

Bald fühlten die jungen Soldaten sich wohl in Mariopol, der Stadt in der Ukraine, und wochenlang
ließen sie es sich gut gehen und feierten die Feste mit den Bewohnern, am liebsten mit
den hübschen, fröhlichen Mädchen des Landes. Doch dann wurden Hans und seine Kameraden
verlegt nach Kislowodsk im Kaukasus. Zum Glück gab es auch in Kislowodsk einen Tanzsaal
und Burschen und Mädchen wie in Mariopol. Am dritten Abend gab Hans, der eigentlich noch
keine richtige Lust zum Tanzen hatte, dem Drängen seiner Freunde nach und schloss sich
ihnen an. Zum Spaß sagte er noch: „Also gut, heute gehe ich und lerne die Frau meines
Lebens kennen."

Eine gute Fee musste diesen Satz gehört haben, denn als Hans die ersten Runden getanzt hatte,
traf sein Blick die Augen einer kleinen Kaukasierin und sein Herz schlug bis zum Hals und er
wusste: „Das ist sie." Sogleich zog er alle Register geschickter Kontaktanbahnung. Er hatte
bemerkt, dass sie eine kleine Armbanduhr trug und folgerichtig sprach er - auf russisch! - den
bedeutungsvollen Satz: „Wieviel Uhr ist es, bitte?" „Es ist jetzt halb sieben", kam unverzüglich
die Antwort - auf deutsch! Nach Amors Pfeil traf ihn da fast der Schlag: Er war wie betäubt,
sprachlos. Nina, die Auserwählte, hatte Deutsch in der Schule gelernt und war froh, ihre Kenntnisse
nutzbringend anwenden zu dürfen. Von nun an gab es keine Probleme der Verständigung
mehr. Da machte Hans seiner Auserwählten sofort ein galantes Kompliment: „Sie tanzen ja wie
ein Schmetterling" (er wundert sich heute noch über seinen damaligen Mut: „So etwas bringe
ich ja sonst nie über die Zunge"), und Nina fühlte Schmetterlinge im Bauch. Als Hans sie
später nach Hause begleitete und ihr zum Abschied galant die Hand küsste, war beider Glück
besiegelt. Dies geschah im Oktober 1942.

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