Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
26. und 27. Jahrgang.2006/2007
Seite: 110
(PDF, 62 MB)
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Kenzingen und seine Schutzheiligen.

Wonnentaler Nonnen schreiben die „Elsässische legenda aurea"x ab

Helmut Reiner

Unser Bild von den Heiligen wird weniger durch historische Fakten als durch Legenden und
künstlerische fromme Darstellungen auf den prunkvollen Altären der Gotteshäuser bestimmt.
Der Buchtitel Die Heiligen kommen wieder stammt aus der Feder des reformierten Schweizer
Theologen Walter Nigg2. Sein Landsmann Max Frisch sagte, „ nur der Nüchterne ahnt das Heilige
". Ist dieses Thema zu Beginn des 3. Jahrtausends vielleicht doch nicht so antiquiert wie
der säkulare Zeitgenosse meint? Haben wir eine verborgene Sehnsucht nach der heilen Welt?

Die Praxis der Heiligenverehrung selbst ist nicht frei von psychologischen Bedenken, von theologischer
Problematik oder gar von volkstümlichem Aberglauben. Abgesehen von den unterschiedlichen
theologischen Auffassungen in den christlichen Konfessionen über die Heiligenverehrung
und deren Stellenwert im Glauben, sollte man wissen, dass der Heiligenkult seine
Wurzeln tief in der weltweiten Kultur der Menschheit hat. Seien es die antiken Mysterienkulte
, der islamische Gottesfreund (wali) oder die Erleuchtungswesen, die so genannten Bodhi-
sattvas bei den Buddhisten. Das Heilige bezieht sich auf alle Bereiche, in denen der Mensch in
Berührung mit dem Göttlichen kommt. Es geht also mehr um die Symbolik, die Wirkung, denn
um die biblische Begründung.

Selbst Martin Luther behauptet in diesem Zusammenhang, „ nächst der heiligen Schrift gibt es
kein nützlicheres Buch für die Christenheit als der lieben Heiligen Legenden " (Werkausgabe
38, 313 f.). Er sagt aber auch: „Ein Christenmensch ist heilig an Leib und Seele, er sei Laie
oder Priester, Mann oder Frau. " (WA 34/1, 540) Der Benediktinermönch Anselm Grün stimmt
ihm zu: „ Wir haben in uns etwas Heiliges, das dem Zugriff der Welt entzogen ist. Wenn wir uns
dessen bewusst werden, tut es uns guf." So sind manche Heilige Themen großer Literatur
geworden; von Schiller bis Shaw über Jean Anouilh, Hermann Hesse, Reinhold Schneider und
andere. Auch die Tonkunst wurde inspiriert. Jeder dieser Autoren hatte einen wesenverwandten
Umgang mit seinen Heiligen.

Dies mögen auch die frommen Klosterfrauen von Wonnental empfunden haben, als sie mit
Eifer und Hingabe die wundersamen Geschichten der Elsässischen Legenda aurea abgeschrieben
haben. Vermutlich soll diese Übertragung im Jahre 1460 erfolgt sein. Es ist die alemannisch
-mittelhochdeutsche Version der lateinischen Legendensammlung von 12674, einer Fassung
, die bis 1564 im Besitz der Conventin zu Günterstal und Statthalterin in Wonnental, Cris-
tina Marschalkin, war. Mitte des 18. Jahrhunderts kam dieses Exemplar nach Sankt Peter im
Schwarzwald. Heute befindet sich der Codex in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe.
Die 13 teils kolorierten Illustrationen stammen aus der Werkstätte Dieboldt Lauber zu Hagenau
. In dieser Bildsprache der Volksheiligen und ihren Wirkungsbereichen wird transparent,
welch tiefe spirituellen Bezüge sich in ihrer Symbolik verbergen. Heute sind die Lesungen von
Heiligenlegenden im Gottesdienst abgeschafft. Trotz dieser Entmystifizierung finden volkskundliche
Darstellungen und ausführliche Dokumentationen des Lebens und Wirkens bedeutender
Gestalten der Mystik gegenwärtig wieder neue Aufmerksamkeit.

Der Schriftsteller Heinrich Boll konnte etwa, wenn er von kirchlichen Heiligen sprach, ihre
Geschichte als Widerstandsgeschichte neu erzählen und sie in Beziehung setzen zu dem christ-

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