Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
34., 35. und 36. Jahrgang.2014-2016
Seite: 207
(PDF, 66 MB)
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ständig kamen Transporte mit Verwundeten, die im Städtischen Krankenhaus und
in Notlazaretten versorgt wurden. Bis in den Herbst 1918 standen deutsche Armeen
tief in den Ländern der Feinde. Um so verstörender war die Meldung, das
Reich habe weitgehende Konzessionen machen müssen, um einen Waffenstillstand
zu erhalten.

Unter den Millionen von Toten, die der Krieg gefordert hat, waren auch 42 (?)
gefallene oder vermisste Kenzinger. Obwohl viele das nicht wahrhaben wollten,
darf man sagen, dass die Deutschen noch glimpflich davongekommen waren;
nicht wenige haben das erst nach der beispiellosen Katastrophe des Nationalsozialismus
eingesehen. Nur sieben Monate nach dem Waffenstillstand wurde 1919
der Friedensvertrag unterzeichnet, der Besiegte und Sieger band. Entgegen den
Wünschen mancher Gegner war das Reich nicht zerfallen, wie sein Verbündeter
Österreich-Ungarn, sondern in seiner Einheit gestärkt; denn mit zwangsweise
abgetretenen Gebieten waren aufmüpfige Minderheiten aus dem Verband des
Reiches geschieden. Diesem waren, anders als Russland, eine die alte Ordnung
umstürzende Revolution und ein mörderischer Bürgerkrieg erspart geblieben.

All das war in der Zeitung zu lesen und einer Landkarte zu entnehmen. Doch statt
zu erkennen, dass der Vertrag von Versailles nicht das letzte Wort der Geschichte
sei, starrten mit den meisten Deutschen auch Kenzinger Honoratioren auf wirkliches
oder vermeintliches Unrecht, das ihrem Staat widerfahren sei. Man verdrängte
, wie rücksichtslos Deutsche während des Krieges in den besetzten Gebieten
geschaltet, wie brutal die Zivilbevölkerung in Belgien, Frankreich, Russland
und Serbien die Gräuel des Frontkrieges erfahren hatte.

Nach 1918/19 fand Europa keinen Frieden. Misstrauen vergiftete weiterhin das
Verhältnis zwischen Frankreich und dem Reich, was sich unmittelbar auf Städte
wie Kenzingen auswirkte. Der gerade zehn Kilometer entfernte Rhein bildete seit
1918 wieder die Grenze Deutschlands, das zudem eine 50 Kilometer tiefe Zone
östlich des Stromes entmilitarisieren musste. Wer war schon bereit, in Schussweite
französischer Kanonen Arbeitsplätze zu schaffen? Neue, zukunftsträchtige Industrien
wurden im Innern des Reiches angesiedelt.

Anfang der 1920er-Jahre kamen weitere bittere Wahrheiten zu Bewusstsein: Kenzingen
musste, wie das ganze verarmte Land, für Kriegsversehrte sorgen, Hunderte
demobilgemachte Männer wieder in das wirtschaftliche und gesellschaftliche
Leben eingliedern. Die Stadt hatte ihren Anteil an Reparationen zu leisten, zu
denen sich das Reich verpflichtet hatte, etwa durch Ablieferung robuster Pferde,
die man dringend in der Landwirtschaft gebraucht hätte.

Deutschland bezahlte den verlorenen Krieg mithilfe einer beispiellosen Geldentwertung
, deren verhängnisvolle Auswirkungen von den Wenigsten durchschaut
wurden. Im Herbst 1923 sah sich die Stadt gezwungen, Notgeld auszugeben (Abb.
12): Scheine über 500 Milliarden Mark, eine fünf mit acht Nullen! Die Kenzinger
waren Multimilliardäre! Aber Milliarden reichten vielleicht gerade noch, einen

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