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Abb. 6: Totenklage, 1923, Aquarell.
war nicht sein Metier, das überließ er seiner tüchtigen Frau, mit der er 1910 den
Ehebund schloss. Die aus der Schweiz stammende Marie Gross hatte menschliches
und geistiges Format. Neben ihrer Liebe zur Kunst galt ihr Interesse der
Literatur. Ihr Briefwechsel mit Clara Rilke, Ricarda Huch, dem Arbeiterdichter
Walter Bauer und anderen schöpferischen Menschen, bezeugt dies. Bücher hatten
beim Ehepaar Oesterle einen hohen Stellenwert. Sie entdeckten und lasen nicht
nur die Neuerscheinungen von Rainer Maria Rilke, Stefan Zweig, Thomas und
Heinrich Mann, sondern orientierten sich auch in der Geisteswelt eines Buber,
Keyserling, Guardini und Karl Kereny. Der kunstliebende Großhandelskaufmann
Albert Hug sowie der Philosoph Heinrich Ochsner aus Kenzingen waren die kulturelle
Brücke zur Heimat. Die Ausübung des Schwesternberufes3 ermöglichte
der Lebenspartnerin, zur Sicherung des Lebensunterhalts beizutragen und ihrem
Ehemann die nötigen Freiräume im Bereich der Kunst offen zu halten. Über all
dies hat sie in zahlreichen Briefen an die Schwägerin Luise Schaudt in Herbolzheim
berichtet.4 Dass Wilhelm sich eindringlich mit den letzten Dingen, dem Tod
als zentralem Erlebnis beschäftigte, dürfte auch zur Sprache gekommen sein. In
vielen Bildmotiven hat sich Oesterle damit auseinandergesetzt. Vielleicht hatte er
eine Vorahnung, dass sein Leben von kurzer Dauer sei. Er starb am 27. August
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