Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
39. Jahrgang.2019
Seite: 83
(PDF, 34 MB)
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Erfolg der Familie, der so sicher schien, nahm ein jähes Ende; die Zukunft bot
keine Perspektive mehr. Freunde zogen sich zurück, Aktivitäten wurden eingeschränkt
, das Geld wurde knapp, was sich auch auf das Essen auswirkte. Die Tragödie
, die alle Juden während der Nazizeit in Deutschland heimsuchte, erlebten
wir im Südwesten sehr früh.

Die erste direkte Veränderung in Kenzingen kam, als man Papa informierte, dass
er nicht länger Mitglied im Sportverein sein konnte und in der Fußballmannschaft
nicht mehr willkommen war. „Der Sigger" war ein guter Fußballer und langjähriges
Vereinsmitglied. Aber Hitler erklärte, Juden seien minderwertige Sportler und
daher eine Verunreinigung einer arischen Sportmannschaft, was mit Sicherheit
jede Chance auf Erfolg vernichten würde. So wurde Siegfried ausgeschlossen.
Ohne Zweifel dachten einige Mannschaftskameraden, sie würden einen guten
Spieler verlieren, aber niemand widersprach dieser Aktion. Gesetz war Gesetz,
und als gute Deutsche gehorchten die Vereinsmitglieder. Papa legte keinen Einspruch
ein, da er das Gesetz für absurd hielt und sicher war, es würde bald für
ungültig erklärt. Für viele schien Hitler eine Verirrung zu sein, die man bis zu
seiner Ablösung ertragen müsse. Sinnlos, sich aufzuregen. Über viele Jahrzehnte
waren deutsche Juden darin Experten geworden, kein Aufhebens zu machen, lebten
ihre Religion zu Hause, aber nicht in der Öffentlichkeit, und schienen sich in
die allgemeine deutsche Gesellschaft integriert zu haben.

Das Sportverbot für Juden bezog sich auch auf das Kegeln. Papa musste aus dem
Kegelklub austreten und auf seine wöchentlichen Kegelabende im Winter, gefolgt
von einer Runde Bier mit seinen Freunden in einer Bierstube im Dorf, verzichten
. Der Höhepunkt dieser kleineren Ausgrenzungen kam eines Abends, als der
Kenzinger Gesangverein, mit dem Papa regelmäßig sang, sein Konzert mit dem
Deutschlandlied („Deutschland über alles") und dem Hitlergruß abschloss. Papa
verweigerte Lied und Gruß, und wurde daraufhin „wie ein räudiger Hund" aus
dem Saal gejagt. Jahre später erinnerte sich einer der Sänger:

„ Wir wussten, dass es nicht richtig war, aber wir ließen es geschehen und sagten
nichts. " Ihr Nationalstolz hatte ihr Gewissen übertrumpft. Die Ausgrenzung der
Juden hatte begonnen, indem man sie in vielen gesellschaftlichen und bürgerlichen
Aktivitäten an den Rand drängte. Als erster Schritt zu einem „judenreinen"
Deutschland hatte Hitlers weitreichender Einfluss es erfolgreich geschafft, die Juden
gerade in den Kreisen unwillkommen zu machen, in denen sie sich in der Vergangenheit
so wohl gefühlt hatten. Von diesen frühen Veränderungen bekam ich
wenig mit. Meine Freunde strömten weiterhin ins Haus, angelockt durch meine
vielen Spielsachen. Ich mag das einzige jüdische Kind in Kenzingen gewesen
sein, aber mir fehlte es nie an Spielkameraden....

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