Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
39. Jahrgang.2019
Seite: 85
(PDF, 34 MB)
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Schule*, die bereit war, zwei Räume in ihrem Gebäude für die Jüdische Schule
zur Verfügung zu stellen, Räume mit einem separaten Seiteneingang. So konnte
man die jüdischen Kinder von ihren arischen Altersgenossen gänzlich getrennt
halten. Die Schule beschränkte auch die Benutzung des Spielplatzes für die jüdischen
Kinder auf die paar Minuten, in denen keine arischen Kinder draußen
waren....

.. .Ich wohnte glücklich mit meinen Großeltern zusammen, da meine Oma mich
in der gleichen Art behandelte, wie meine Mama es tat. Jeden Abend las sie mir
aus einem der wenigen Kinderbücher vor, die damals erhältlich waren. Ein Favorit
war der Roman „Heimatlos" von Hector Mallot, der immer sehr spannend
war und viele Tränen erntete, auch nach dem dritten oder vierten Lesen. Oma verwöhnte
mich oft mit Kakao, da ich es ablehnte, wegen der Haut darauf, einfache
gekochte Milch zu trinken. Ich habe es aber immer gemerkt, wenn sie versucht
hat, mir die billigere Ovomaltine anzudrehen. Ich liebte es, mit den langen Papierstreifen
zu spielen, die von den Spitzen- und Nahtbandrollen übrig waren, die sie
beim Nähen ihrer Kleider benutzte. Jetzt verstehe ich, dass viele dieser Aktivitäten
ausgedacht waren, um fehlende Spielkameraden zu ersetzen und mich von der
Strasse fern zu halten, besonders nachdem ich eines Tages im Sommer mit den
Worten: „Du Judensau gehörst nicht auf öffentliche Strassen'' zurück ins Haus
gescheucht wurde...

...Als sie wieder zu Hause war, traf Mama Vorkehrungen, mich von Freiburg
heimzubringen. Und sie ordnete die Papiere, die mit der Auswanderung der Familie
in die Vereinigten Staaten nötig sein könnten. Sie schickte ein Telegramm an
das U.S. Konsulat in Stuttgart mit der dringenden Bitte um eine rasche Antwort,
auf die sie vergebens wartete. Mit Hilfe des Kenzinger Dorfpfarrers brachte sie
die Dokumente, die sie hatte, zur dortigen Gestapo als Beweis, dass wir uns bemühten
, Deutschland zu verlassen. Als Ergebnis ihrer Bemühungen wurden Papa
und beide Großväter am 6. Dezember aus Dachau entlassen, nur einen Monat
nach ihrer Verhaftung.

Meine Erinnerungen an diese traumatische Zeit sind sehr spärlich, obwohl ich
mich doch entsinnen kann, dass Papa nicht da war, als ich nach Hause kam. Sehr
deutlich kann ich mich an Papas Heimkehr erinnern. Die Haarfransen, die er normalerweise
um seinen kahlen Kopf trug, waren weg und er hatte einen fürchterlichen
, sehr traurigen Ausdruck in seinen Augen.

* An der ehemaligen Zwangsschule von Alice, der heutigen Lessing-Realschule, beschäftigt sich die
Schülerschaft aktiv mit entsprechenden Projekten (Rosita Dienst-Demuth).

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