Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
39. Jahrgang.2019
Seite: 92
(PDF, 34 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-2019-39/0094
Also gingen wir für einen Tag nach Kenzingen und liefen herum, aber wir sahen nicht
viel, weil wir nicht wussten, wo alles war. Als wir zurück zum Bahnhof kamen, hatten
wir beide plötzlich ein seltsames Gefühl. Es war die Vorstellung, dass während des
Krieges von diesem Bahnhof die Züge mit Juden in die Konzentrationslager losgefahren
sind.

Als ich 1998 wieder kam, war mein Ehemann eine große Hilfe, und dann kam ich
1999 wieder und 2004 und jetzt immer wieder, und ich habe das Gefühl, dass ich
immer mehr Menschen hier kenne.

Piedade: Sie sind alle an unserer Geschichte interessiert, Robert Krais, Reinhold
Hämmerle, Annegret Kessler... 1999 kam mein Vater hierher, er ist 1915 geboren.
Stellen Sie sich vor: Es hat so lange gedauert, bis er nach Kenzingen zurückkam. Und
2014 kam ich mit meiner Nichte hierher, und 2015 mit meinem Sohn. Er wollte sehen,
wo sein Opa geboren wurde. Er hatte ihm von Kenzingen erzählt, von der Elz, von
den zwei Kirchen...

Ist Ihnen durch Ihre Besuche in Kenzingen das Bild Ihres Vaters deutlicher geworden
?

Das Bild, das ich jetzt von meinem Vater habe, ist anders als früher, weil ich nun mehr
über seine Jugend weiß, sein Leben und die Rolle, die er im Widerstand gespielt hat.
Andererseits, und das mag seltsam klingen: Für mich war mein Vater schon immer
ein Held. Das Gefühl hatte ich schon immer, auch wenn wir nur ganz wenig Zeit miteinander
verbracht haben. Er hat mir Kraft für mein Leben gegeben, und ich denke,
er war ein guter Mensch. Wenn ich sehe, wie er durch das Leben ging... Er hatte kein
Vertrauen in die Deutschen. Er kannte den Antisemitismus und verstand, was passierte
, als er Deutschland 1933 verließ. Damals gingen noch nicht so viele Menschen
aus Deutschland weg. Sein Bruder Simon hatte es verstanden, er war schon 1929 aus
Deutschland weggegangen.

In Südfrankreich wollten die Leute dann, dass er sich versteckt, aber das hat er nie
akzeptiert. Er wusste, dass seine Frau krank war und dass ich noch sehr klein war, also
hätte er sich für uns verstecken können, aber er hat sich anders entschieden, und das
respektiere ich. Ich denke, er hat das Richtige getan, das was er tun musste. So sehe
ich ihn. Ich habe früher nicht viel über ihn nachgedacht, aber wenn ich jetzt an ihn
denke, dann bin ich sicher, dass er heute, wenn er noch leben würde, dasselbe wieder
tun würde, was er damals tat. In meinen Augen war mein Vater kein leichtfertiger,
sondern ein verantwortungsvoller Mensch, und ich bin stolz auf ihn.

Wurde Kenzingen so auch für Sie ein Stück neue beziehungsweise alte Heimat?

Ich weiß nicht. Ich habe Freunde in Paris, die auch deutscher Abstammung sind, und
die behaupten immer, dass ich sehr deutsch wäre. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Ich
sehe mich nicht so...

Piedade: Mein Vater sagte immer, wir wären preußisch. Alles musste korrekt sein...

Es gibt dafür diesen jiddischen Ausdruck für deutsche Juden: die waren die Jecken.
Meine Freunde sagten immer, ich wäre ihr Jeckele.

92


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-2019-39/0094