Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, Bibliothek, Frei122-Z5
Aksakov, Aleksandr N. [Begr.]
Psychische Studien: monatliche Zeitschrift vorzüglich der Untersuchung der wenig gekannten Phänomene des Seelenlebens
47. Jahrgang.1920
Seite: 107
(PDF, 183 MB)
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Pick: Postulat und Fiktion.

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der Sinnenschein als Wirklichkeit, dann ist folgerichtig die wahre
Behauptung: der Stab ist gerade — eine Fiktion; wird aber die
Sinnestäuschung durchschaut, dann ist die Behauptung: der Stab
ist gerade — ein Postulat. In einen Satz zusammengefaßt: der
Stab ist gerade, erscheint aber infolge der brechenden Medien, als
ob er gebrochen wäre.

Die Postulate beziehen sich auf die intelligible Welt, die Fiktionen
auf die Sinnenwelt. Der intelligible Wille ist frei, der empirische
unfrei. Der wahre Kantianer sagt mithin: ich betrachte
den Menschen, als ob er frei wäre, trotzdem ich von seiner empirischen
Unfreiheit überzeugt bin, und meint damit: der Wille ist frei,
trotzdem ich sehe, daß der empirische Wille unfrei ist, — denn ich
blicke die Sinnestäuschung durch. Seine Behauptung ist also ein
Postulat und keine Fiktion.

Wer die Postulate der praktischen Vernunft Fiktionen nennt,
also annimmt, Kant sei von der Unmöglichkeit einer intelligiblen
Welt überzeugt gewesen und habe sie nur zum praktischen Behufe
für die Erfahrung als eine Fiktion aufgestellt; der müßte in dem
angeführten Vergleiche behaupten, der Physiker sei von der Unmöglichkeit
, daß der Stab ganz sei, überzeugt, und stelle die Behauptung
: ich betrachte den Stab, als ob er ganz wäre, nur als
eine Fiktion auf. Kant vergleicht seine Tat mit derjenigen des
Kopernikus. Ihm galt die transzendentale Idealität von Raum
und Zeit tmd die Wirklichkeit der intelligiblen Welt ebensowenig,
als eine Fiktion, wie dem Astronomen die Erdbewegung: beide
blickten den täuschenden Sinnesschein durch. Die intelligible Welt
ist wirklich, die Sinnenwelt bloße Erscheinung. Das Ding an sich
ist mithin keine Fiktion, sondern ein Postulat; Atome und Materie
aber sind echte Fiktionen, da sie nur .ciü Spezialfall der ganzen
Sinnenwelt sind. Der wahre Kantianer betrachtet die Sinnenwelt,
als ob sie real wäre, trotzdem er von dem Gegenteil überzeugt ist.
Er stellt aber Gott, Freiheit und Unsterblichkeit als Postulate auf,
trotzdem diese Ideen der Erfahrung widersprechen.

Auch Lange's „Standpunkt des Ideals" vermengt die Postulate
mit den Fiktionen. Ein fingierter Gott ist kein Gott. Der
Götzendiener, der nicht an seinen Gott glaubt, dem sein Götzenbild
eine bloße Fiktion ist, ist kein Götzendiener mehr. Der „Standpunkt
des Ideals" ist verschämter Atheismus. Zwischen dem Materialismus
und der Vernunftreligion Kants ist ein Kompromiß nicht
möglich. Entweder ist die intelligible Welt wirklich, dann sind
Gott, Freiheit und Unsterblichkeit Postulate der praktischen Vernunft
und keine Fiktionen, oder ist die Sinnenwelt wirklich, dann
ist die intelligible Welt samt Gott, Freiheit und Unsterblichkeit
vollkommen überflüssig: also der Standpunkt des reinen Materialismus
. Der „Standpunkt des Ideals", der zwischen beiden ver-


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